Die Heilerin des Kaisers
des Stalls überrascht hatte. Auch die meisten Herren und Damen des Herrscherpaares wussten davon – nur zur Königin war die Neuigkeit noch nicht gedrungen. Es würde wohl auch nach wie vor niemand wagen, den Ruf der Base Kunigundes zu beflecken…
KAPITEL 36
»W OHL HABEN WIR Einwohner Paderborns große Freude empfunden, als der König uns mit seinem Gefolge beehrte. Und wie ein alter Brauch es gebietet, sorgen wir als seine geliebten Untertanen gerne für deren Obdach und Nahrung«, erzählte ein Bürger der Stadt Griseldis.
Dieses Mal hatte der König sie gebeten, ihn zu begleiten, da er spürte, dass einer seiner schmerzhaften Anfälle kurz bevorstand. Er bedurfte folglich jeden Tag vorbeugend ihrer Kunst des Handauflegens. Die übrige freie Zeit nützte die Heilerin, um Paderborn zu erkunden.
»Doch wir kennen diese Besuche des Königs aus bitterer Erfahrung«, fuhr der Paderborner fort. »Und wir wissen, dass sie den gefürchteten Heuschreckenplagen aus dem Alten Testament gleichkommen.«
Griseldis wusste, was der Mann damit meinte. Wie den Einwohnern aller anderen königlichen Pfalzen, oblag denen von Paderborn die Pflicht, ihren König dann und wann zu beherbergen. Heinrich wechselte ständig seinen Aufenthaltsort. Er musste schließlich im ganzen Reich für Recht und Ordnung sorgen und sein Hofstaat lag damit einer Stadt und ihrer ländlichen Umgebung buchstäblich auf der Tasche.
Heinrich, Kunigunde und ihr unmittelbares Gefolge, Griseldis und die anderen Leibärzte nicht zu vergessen, samt Oberhofmeister, Kammerherren, Kammerfrauen, Pagen, Dienern, Knechten und Mägden fanden in der jeweiligen königlichen Pfalz ihr Unterkommen. Ein Teil des Gefolges wurde aber in den Häusern und Villen adliger Familien einquartiert und den Rest der gewaltigen Hofhaltung brachte man bei Bürgersleuten unter – meist zu deren Missvergnügen.
»Im Grunde hat sich seit den Zeiten der Merowinger und seit Karl dem Großen nichts an dieser Sitte geändert«, murrte ein vermögender Paderborner Kaufmann, dessen Haus man ebenfalls für den Hofstaat des Königs requiriert hatte.
»Es bedeutet Speis und Trank und Tag und Nacht Bedienung für anspruchsvolle, stets unzufriedene und obendrein meist unfreundliche Gäste. Und es heißt auch, viel abzugeben und gering oder gar nicht dafür entlohnt zu werden«, fügte er ein wenig verbittert hinzu.
Griseldis konnte es selbst erleben: Von Tag zu Tag füllten sich die Kirchen der Stadt immer mehr mit Gläubigen, die inbrünstig beteten. Vater Berchtold hatte die Vermutung geäußert, sie flehten dabei zum HERRN, er möge doch den geliebten und verehrten König recht bald weiterziehen lassen…
Dem König erlegte der Aufenthalt in seinen Pfalzen eine ununterbrochene Reihe von Pflichten auf.
»Eine unendlich große Anzahl langweiliger Audienzen muss bewältigt werden«, beklagte sich Heinrich bei seiner Medica. »Alle kommen, um mich ihrer Treue zu versichern, und im gleichen Atemzug tun sie mir untertänig und sehr umständlich ihre Wünsche und Beschwerden kund.«
Wie Griseldis wusste, nahm der König darüber hinaus täglich zu einer bestimmten Stunde, meist vor dem Gang zur Messe, Bittschriften entgegen und lauschte gnädig den Gesuchen der Armen oder von Personen, die sich für einen Verurteilten einsetzen wollten. Vater Berchtold und erstmals auch die Heilerin sollten dabei zugegen sein.
»So gebt ihn schon her«, brummte der König, als sein Erster Kammerherr ihm den mit Hermelin gefütterten, roten Königsmantel um die Schultern legte. »Das Ding drückt einen schier nieder mit seinem Gewicht und zum Schwitzen bringt es mich auch. Zu allem Überfluss jetzt auch noch die schwere Krone! Sie engt mich ein und verursacht mir jedes Mal Kopfschmerzen.«
Griseldis empfand Mitleid mit Herrn Heinrich, der sich an diesem Tag überhaupt nicht wohl zu fühlen schien. Er hatte schlecht geschlafen und die dunklen Schatten unter seinen Augen legten Zeugnis davon ab.
Aufrecht wie eine Marmorstatue würde der Herrscher stundenlang feierlich auf seinem zwar prächtigen, aber unbequemen Thronsessel sitzen, überwölbt von einem Baldachin aus purpurrotem Samt, und sich mit leutseligem Lächeln anhören, was seine Untertanen, in einem vorgeschriebenen Abstand vor ihm kniend, ehrfürchtig hervorstotterten.
Einige wenige sprachen flüssig und kamen umgehend zum Kern der Sache, aber die meisten schilderten weitschweifig, von Gestammel unterbrochen, worum es ging. Manche waren
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