Die Heilerin des Kaisers
Fingerfertigkeit bei Näh-und Stickarbeiten sehr schätzte. Etwas anderes war es allerdings, wenn Geschichten und Sagen aus alter Zeit erzählt wurden: Ihnen lauschte die Heilerin mit heller Begeisterung.
Großen Spaß bereitete es Griseldis, wenn sie ihre bemerkenswerte Geschicklichkeit am Schachbrett bei einer Partie mit einer der Hofdamen, manchmal sogar mit der Königin selbst, zeigen durfte.
Dieses Spiel mit den verschiedenen Figuren in Schwarz und Weiß aus dem Orient – genau genommen sprach man von einer Herkunft aus dem fernen Indien – erfreute sich neuerdings großer Beliebtheit am Hof König Heinrichs.
Zum Lesen und vor allem zum Schönschreiben, Fertigkeiten, die ihr Vater Berchtold auf ihre Bitten hin längst beigebracht hatte und die sie perfekt beherrschte, fehlte ihr der richtige Anlass. So kam der Heilerin im Grunde der Ritt nach Corvey gerade recht.
KAPITEL 40
D EM ALTEN B ENEDIKTINER war die Reise zu anstrengend: Angeblich verspürte er ein heftiges Ziehen im Rücken, aber Griseldis argwöhnte, er wäre nur ein wenig bequem geworden. Sie hatte ihm versprechen müssen, alle Vorkommnisse im dortigen Kloster für ihn aufzuschreiben. Das tat sie auch sehr gewissenhaft, wobei sie ihr Entsetzen deutlich zum Ausdruck brachte:
»Am hellen Vormittag lagen der ehrwürdige Abt Walho und seine Mönche noch in ihren weichen Daunenbetten, wahren ›Lotterpfühlen‹, wie der König sich ausdrückte, welche die frommen Herren mit willigen Dirnen teilten«, hatte Heinrichs Medica notiert.
»Gebetsstunden wurde keine mehr abgehalten; von Besinnung und Meditation keine Spur. Dafür gab es bereits zu Mittag laute Musik, fröhlichen Tanz und leckerste Speisen. Statt wohlklingender Mönchschoräle schallten raues Gelächter und schrilles Weibergekreisch über die Klostermauern von Corvey.
Bereits aus einiger Entfernung war der Lärm zu hören und die Bauern aus der Umgebung oder die Wallfahrer, welche zu Gebet und stiller Einkehr die Klosterkirche aufsuchen wollten, schüttelten nur den Kopf über das lockere Treiben.
König Heinrich wies die Mönche an, sich umgehend aus ihren Betten zu erheben. Sie mussten im Refektorium antreten, wo er in einer geharnischten Rede an das Gewissen und die Gelübde aller Klosterinsassen appellierte.
Was dann aber geschah«, fuhr Griseldis fort, »erboste Herrn Heinrich zutiefst. Statt Betroffenheit zu zeigen, Reue zu offenbaren, demütig das Haupt zu senken und Besserung zu geloben, griffen die Mönche den König an:
Mit frechem Geschrei protestierten sie gegen seine Einmischung, verbaten sich mit rüden Worten jede Kritik und gaben ihm unmissverständlich zu verstehen, er möge sich zum Teufel scheren: Das alles ginge ihn nämlich überhaupt nichts an. Ein Kloster sei souverän und die Insassen desselben könnten ihr Leben so gestalten, wie sie es für richtig befänden; der Herrscher möge sich daher vor jeglicher Anmaßung hüten und sich gefälligst um andere Dinge kümmern.«
Griseldis hatte keineswegs übertrieben. Herr Heinrich war bleich geworden vor Zorn, so sehr hatte er sich über die Impertinenz der Corveyer Klosterbrüder aufgeregt.
»Nach kurzem Überlegen tat der König Folgendes: Den derzeitigen Abt Walho suspendierte er umgehend und versprach ihm, am nächsten Tag wiederzukommen und, sollte das liederliche Weibervolk sich noch innerhalb der Mauern des Klosters befinden, dasselbe mit Ruten höchstpersönlich aus dem Haus zu peitschen.«
Als Vater Berchtold diese Zeilen las, bedauerte er es aufrichtig, nicht selbst dabei gewesen zu sein. Welch eine Szene war ihm da entgangen! Wie gerne hätte er es miterlebt, wie sein Herr dem dreisten Klosterpack den Schneid abkaufte. Betroffen und zugleich amüsiert las er weiter:
»Weil die Mönche nicht wollten, dass ihr Kloster in Brand gesteckt wurde, auch das hatte Herr Heinrich ihnen angedroht, öffneten sie tags darauf nach sehr kurzer Bedenkzeit die Pforte für den König, der sich diesmal eine ganze Anzahl an Bewaffneten als Verstärkung mitgenommen hatte.
Herr Heinrich ließ die vorlautesten Protestierer des gestrigen Tages in Haft nehmen. Hübschlerinnen hielten sich keine mehr im Kloster auf und Abt Walho, der mittlerweile den Ernst der Lage erkannt zu haben schien, schwenkte plötzlich um. Er warf sich dem König zu Füßen, bat demütig um Verzeihung und gelobte eine vollständige Reform des Klosterlebens in Corvey.
Aber der König hatte genug von ihm«, fuhr die Heilerin fort. »Wo er
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