Die Heilerin von Lübeck
euch«, sprach der Priester, der in der Lübecker Sankt-Clemens-Kapelle die Messe für die aus dem Süden eingetroffene große Pilgergruppe hielt. In wenigen Tagen würden die Reisenden nach Schweden und Norwegen übersetzen.
Taleke befand sich unter ihnen. Sie war unendlich dankbar für die schnelle und gefahrlose Reise, die ihnen unterwegs weder Überfälle noch andere Unannehmlichkeiten beschert hatte, außerdem stets ein ordentliches Nachtquartier in gut beleumdeten Pilgerherbergen.
Es handelte sich um eine große Gruppe reicher Männer und einiger Frauen, die einen bewaffneten Geleitschutz gedungen hatten. Talekes Pferd aus guter Zucht hatte für sie gesprochen, außerdem ihr blaues und rotes Gewand aus bestem Tuch: Sie war ohne weitere Nachfragen von der begüterten Gruppe akzeptiert worden. Zur gleichen Zeit hatte sich vor Saint-Jacques eine zweite Gruppe versammelt, die nach der Messe losmarschieren wollte und wenigstens doppelt so lange benötigen würde.
Taleke hatte das große Glück gehabt, nicht auf diese langsamen Fußwanderer angewiesen zu sein, zumal sie möglicherweise verfolgt wurde. Sie erinnerte sich noch gut an die vielen Bewaffneten, die ausgeschwärmt waren, um die Tempelbrüder in ganz Frankreich einzufangen und nach Paris zu bringen. Es wäre ihnen ein Leichtes gewesen, sämtliche Pilgergruppen nach einer allein reisenden blondhaarigen, großen Frau auszufragen.
Taleke hatte sogar einen Teil ihres Reisegeldes sparen können, denn die Krankheiten und Beschwerden einiger Frauen, derer sie sich unterwegs angenommen hatte, waren sehr zufriedenstellend vergütet worden. Stolz entrichtete sie nach dem Gottesdienst ihren Obolus wie alle anderen Frauen, die aber im Unterschied zu ihr selbst ihr barmherziges Werk mit dem Geld ihrer Ehemänner taten.
Der Priester bemerkte ihren forschenden Blick auf das Innere der Kapelle, in der sie einstmals nicht geduldet worden war. »In wenigen Tagen seid Ihr zu Hause, wo auch immer das ist.«
»In Lübeck«, antwortete Taleke mit einem selbstbewussten Lächeln. »Ich werde mich hier niederlassen und das Bürgerrecht beantragen.«
»So seid Ihr mannlose Kauffrau?«
»Mannlos ja, aber mit eigenem Gewerbe. Ich bin in Paris ausgebildete Heilerin.«
»Was Ihr nicht sagt! Gottesfürchtige Frauen, die sich bei den Ärmsten der Armen kleiner Unpässlichkeiten annehmen, sind willkommen in Lübeck. Ich bin übrigens Pater Pepersalz, ich betreue diese Pilgerkapelle und Sankt Jakobi.«
Taleke nickte leicht, tauchte ihren Finger in das Weihwasserbecken und verließ das Gotteshaus hocherhobenen Hauptes. Unpässlichkeiten! Mochte er glauben, was er wollte.
Der Gautzelin verdankte Taleke den völlig richtigen Hinweis, dass sie eine Wohnung zu ebener Erde benötigte. Frauen in anderen Umständen, Wassersüchtigen, Alten und Müttern mit kranken kleinen Kindern war eine Treppe in ein Kellergewölbe oder in ein Dachgeschoss nicht zuzumuten.
Sie fand sie in Hafennähe, in einer der Gassen, die man wegen ihrer Lage auf ehemaligem Sumpfgebiet als Gruben bezeichnete. Ihre Wohnstatt befand sich in der Kleinen Altefähre, in der Nachbarschaft von Schiffern und Seeleuten, die sie mochte, und weitab von den Kaufleuten, um die sie lieber einen Bogen machte. Benachbarte Gruben waren die Petersiliengasse, die Engelsgrube und die Engelswisch, in denen die Huren lebten und wo sie wohl ihre erste Kundschaft finden würde.
Ihr Häuschen war eines der wenigen alten Holzhäuser, die bei der letzten Feuersbrunst von Lübeck nicht abgebrannt waren. Der Besitzer, ein Kaufmann, der längst ein steinernes Haus in der vornehmen Mengstraße bezogen hatte, benutzte sein altes Haupthaus als Lager, das Hinterhaus war zu vermieten, und Taleke wurde mit ihm schnell handelseinig.
Das Haus bestand aus einem einzigen Raum, den sie mit Hilfe eines Vorhangs teilen konnte. Im vorderen Bereich war Platz genug für zwei Hocker, und in die mit Stroh und Lehm ausgefüllten Gefache schlug sie Pflöcke, an denen sie ihre Kräuterbündel aufhängen würde.
Ein Geschenk des Himmels war der Garten, der ihr ab nächstem Frühjahr Heilkräuter liefern konnte. Immerhin hatte sie mittlerweile eigene Erfahrung, obendrein mit feuchten Böden. Außerdem hatte sie als einzige Mieterin auf der ehemaligen Hofstelle den Brunnen und die Kloake sowie ein Gebäude, das früher als Schafstall gedient hatte, zu ihrer Verfügung. Vorläufig war dies nun der Stall ihrer Stute, die Taleke nicht abgeben mochte.
Am Tag
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