Die Heilerin von Lübeck
gegen die Meisterin Taleke in Betracht zieht. Für mich ist die Angelegenheit erledigt. Ich werde der Ratsversammlung berichten, dass Meisterin Taleke mit den Todesfällen in dieser Hütte nichts zu tun hat. Eure Beschuldigung müsst Ihr selber und an anderer Stelle vertreten, Pater.«
»Ja, und das werde ich auch, Meister Medicus«, sagte Pater Pepersalz entschlossen und schwang das Kreuz, das an seinem Hals hing, hin und her, als wäre es geeignet, die Dämonen auf seinem Weg aus dem Hurengelände zu verscheuchen.
»Der Pater wird Euch noch Kummer bereiten.« Der Arzt sah teilnahmsvoll auf Taleke hinab.
»Vermutlich«, sagte Taleke. »Ich weiß leider nicht, wie ich mich dagegen wappnen soll. Der Vorwurf der Gotteslästerung ist purer Unsinn. Nicht nur Godele war wohl sehr gläubig, sondern auch Hedwig. Als sie das Kreuz erst zwischen ihren Fingern spürte, hielt sie es fest, als ob ihr Leben daran hinge. Sie ist versöhnt mit ihrem Herrn gestorben, auch ohne priesterlichen Beistand. Ich denke, Godeles und mein Gebet hat sie noch erreicht.«
»Davon wollen wir ausgehen. Übrigens war Godeles Leichnam nicht unter den Frauen, ich nehme an, Ihr habt es bemerkt.«
»In der Aufregung nicht, aber jetzt, wo Ihr darauf hinweist, natürlich.«
»Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie tot ist. Hättet Ihr in dem Zusammenhang einen Hinweis?«
»Nein. Aber ich könnte mir denken, dass der Tiburga am meisten daran gelegen ist, die Decke des Stillschweigens über alle diese Vorkommnisse zu breiten.«
»Wohl wahr. Das Schlimme ist, dass es einigen Ratsmitgliedern ähnlich geht. Wir haben also nicht etwa Hilfe von ihnen zu erwarten.«
»Wir?«
»Was dachtet Ihr denn, Meisterin Taleke?«
Taleke errötete. »Nun ja, als der Gerichtsdiener mir damit drohte, mich wie ein Kalb am Strick durch die Stadt zu führen …« Sie verstummte.
»Das war leider notwendig. Ich muss aufpassen, dass mich Frau Puttfarcken nicht bereits mit dem Vorwurf der Parteilichkeit für Menschen, die der Gaunerei und Häresie verdächtigt werden, aus dem Amt wirft. Mich bei fachlichen Fehlern zu erwischen, wird ihr nicht gelingen.«
»Ach so«, seufzte Taleke erleichtert. »Kann man die Tiburga irgendwie dingfest machen?«
Der Arzt verzog das Gesicht. »Ohne Ankläger und Zeugen kaum.«
»Eine alternde Dirne hat mir gegenüber zugegeben, dass die Tiburga Hedwig auf dem Gewissen hat. Dass sie es vor Euch wiederholen würde, bezweifle ich. Sogar in der Gasse, in der sie gewohnt hat, will niemand Godele gekannt haben. Sollte sie tatsächlich tot sein, werden weiterhin alle schweigen. Aus Angst, ihr ins Grab zu folgen.«
»Richtig. Dabei läuft die Tiburga natürlich nicht selbst herum, um junge, kräftige Menschen um die Ecke zu bringen. Sie nennt jemandem den Namen dessen, der sich als überflüssig oder gar gefährlich für das Geschäft erweist. Und dieser Jemand nimmt alles Weitere in die Hand.«
»Was meint Ihr?«
»Es geht hier nicht um den Streit zwischen eifersüchtigen Dirnen und einer Engelmacherin. Hier dürfte der Stadtrat mit allen Gelüsten einzelner Ratsmitglieder nach Macht und Einfluss eingebunden sein, will sagen, einer oder mehrere der hohen Herren schützen ihre Söhne und bezahlen gut dafür. Sie beauftragen jemanden, der skrupellos genug ist, Schwätzer umzubringen. Ich möchte Euch nicht erschrecken, Taleke, aber wahrscheinlich seid Ihr mittlerweile selbst gefährdet.«
»Ich?« So etwas war Taleke noch nicht in den Sinn gekommen.
»Ja. Könnt Ihr jemanden zu Eurem Schutz aufrufen?«
»Nein! Nein.« Dann dachte Taleke an Volrad Wittenborch. »Ich weiß nicht«, sagte sie zögernd. »Vielleicht.«
»Versucht es«, riet Bertram von Altenkerke ernst. »Namhafte Querulanten aus dem Volk springen schnell über die Klinge.«
»Zu den Querulanten zählen sie auch Euch, oder?«
»Ihr trefft ins Schwarze wie beim Scheibenschießen, Meisterin. Ja, wir stehen jetzt beide im Fokus von Stadtrat und Klerus. Sie werden mit allen ihren Mitteln versuchen, uns zur Strecke zu bringen.«
»Was habt Ihr dem Klerus getan?«
»Ich habe verhindert, dass die Familie des Binnenschiffers ihre Hütte verlor. Was nur heißen soll, dass meine Beurteilung von Neses Symptomen im Namen der Stadt Lübeck auch für Domherren rechtlich verbindlich ist. Selbstverständlich wart Ihr diejenige, die durch kluge Behandlung den Aussatzverdacht ausgeschlossen habt.«
Taleke biss sich auf die Lippen. »Das macht es noch gefährlicher,
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