Die Heilerin von Lübeck
Vorbereitungen zu bremsen. »Hattet Ihr mit dem Bengel schon mal zu tun?«
»Nein«, gab Taleke erstaunt zu. »Meistens kenne ich die Boten nicht.«
»Habt Ihr das Malzeichen auf seinem Handgelenk gesehen?«
»Blau und gemalt?«
»Blau, ja. Gemalt nicht, sondern eingestochen und gefärbt. Das Zeichen einer Bruderschaft von Männern, die für alle Arten von Diensten bereitstehen. Man pflegt sie gut zu bezahlen, weil man von ihnen äußerste Zuverlässigkeit erwartet.«
»Und?«, fragte Taleke verwirrt.
»Wer diese Leute ausschickt, plant nichts Gutes. Ich vermute eine Falle. Seid darauf gefasst.«
»Ja, ja.« Taleke war durcheinander. Sie spähte durch die angelehnte Tür nach draußen. Der Bote war ärmlich gekleidet, aber nicht verwahrlost. Er wirkte harmlos. Trotzdem schenkte sie Tideke, der die feine Witterung einer Ratte besaß, natürlich Glauben.
»Meisterin Taleke, ich bin immer in Eurer Nähe. Lasst Euch nichts anmerken. Und jetzt müsst Ihr gehen.«
Sie nickte, nahm ihren Sack auf und trat nach draußen. Der Junge lief vorweg, in einer Entfernung, die Taleke nicht einmal gestattete, nach seinem Namen zu fragen, immer am Ufer der Trave entlang. Kurz vor dem Dom bog er in eine der Gruben ab, die noch matschig von der letzten Überschwemmung war, selbst die Bohlen vor den Hauseingängen waren glitschig. Über ihnen neigte sich mancher Giebel einer Hütte gefährlich über die schmale Gasse.
Taleke zögerte.
Die Dunkelheit fiel jetzt rasch, und irgendwo vor ihr rief der Junge mit heller Stimme: »Hierher, Meisterin Taleke. Wir sind gleich am Ziel. Hier sollte eine Laterne hängen, sie ist wohl verloschen!«
Licht neben dem Hauseingang wäre zum Empfang einer Heilerin angemessen gewesen, insbesondere da offensichtlich Geld für einen Boten vorhanden war. Wo war Tideke? War er wirklich in ihrer Nähe? »Bist du ganz sicher, dass wir hier richtig sind?«
»Aber ja. Beeilt Euch, bevor das Weib erstickt! Der Hausherr hat mich nur verpflichtet, weil er sich nicht traute, seine Frau allein zu lassen. Ich glaube nicht, dass er sonst die Bruderschaft in Anspruch genommen hätte.«
Die Offenheit, mit der der Junge zugab, einer zwielichtigen Bruderschaft anzugehören, gab den Ausschlag. Plötzlich glaubte Taleke nicht mehr an eine Falle und schlug einen schnellen Schritt an.
Sie stolperte über irgendetwas am Boden und spürte gleichzeitig, wie sich jemand auf sie warf, der aus einem kaum erkennbaren Gang zwischen zwei Hütten herausschoss. Die dunkel gekleidete Gestalt bekam nur ihren Arzneisack zu fassen und fiel mit ihm zu Boden. An Taleke vorbei schoss wie ein Raubvogel Tideke, um mit einem zweiten Angreifer zusammenzuprallen, der gegen die Hausecke flog und mit einem Seufzer zu Boden rutschte.
Mit einem Tritt beförderte Tideke den ersten Angreifer in die Bewusstlosigkeit, klaubte den Arzneisack unter ihm hervor und packte Taleke am Arm. »Kommt, schnell fort von hier«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Da sind vielleicht noch mehr von der Sorte.«
Statt zur Trave hinunter zerrte der Seemann Taleke hügelaufwärts in Richtung Dom. Erst zwischen den mächtigen Steingebäuden, hinter deren geschlossenen Fensterluken noch Licht schimmerte, verlangsamte er sein Tempo. »Gelegentlich sind die Schwarzkittel auch mal von Nutzen«, raunte er ihr zu. »Sollten die Kerle uns jetzt noch folgen, donnern wir gegen eine Pforte und schreien, was das Zeug hält. Besonders mutige Priester flüstern einem Räuber schon mal herzhaft ein Gebet entgegen.«
»Danke«, schnaufte Taleke und hätte vor Erleichterung beinahe übermütig gekichert.
»Keine Ursache, Frau Meisterin, das haben wir ja erwartet.«
»Ich wusste nicht, was zu erwarten war.«
»Nein, aber mein Schiffer dank Eures Berichts. Und nun wissen auch die Gegner, dass wir vorbereitet sind. Es könnte noch gefährlicher werden.«
»Ach, Tideke, was soll ich nur machen?«, rief Taleke verängstigt aus. Wieder einmal waren ihr die Knie weich geworden.
»Euch auf Schiffer Volrad Wittenborch verlassen. Er lässt niemanden im Stich, der in Not ist.«
»Wirklich?«, fragte Taleke unter Tränen.
»Ja, wirklich, Meisterin. Ihr habt bei ihm einen Stein im Brett. Und ich werde Euch Tag und Nacht bewachen!« Tideke stand mit ausgebreiteten Pranken vor Taleke, bereit, sie aufzufangen, falls sie umsinken sollte, aber er wagte nicht, sie anzufassen.
Taleke schluchzte laut auf, ohne sich beherrschen zu können. Was hatte sie für ein Glück, dass sie jetzt von
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