Die Heilerin von Lübeck
wenigen Steinhäusern standen Holzhäuser und alte Torfhütten, und gelegentlich sah sie ein schmales Gartengrundstück mit Bäumen und Büschen, an denen die Blätter gerade ausschlugen. Rauch von Feuern zog durch die Gassen, und der Lärm ließ auf Handwerker aus unterschiedlichen Gewerben schließen.
Talekes Beklemmung verschwand allmählich. Sie war satt vom Brot, das sie heißhungrig im Gehen verzehrt hatte, und ihr Mut kehrte zurück. Es würde schon werden.
Auch auf dieser Seite der Stadt gab es die hohe Mauer, aber als Taleke durch eine Pforte geschlüpft war, sah sie vor sich ein sumpfiges, flaches Ufer. Unzählige Ruderboote waren an Pfählen befestigt und schaukelten sachte vor sich hin.
Genau, was sie brauchte. Bis über die Knöchel im Wasser tehend, die Sandalen, ihr Kopftuch und ihr Bündel in einem Nachen abgelegt, wusch sie sich gründlicher als am Morgen in der Trave. Schließlich sollte ein Wirt sie nicht riechen können, bevor sie in seiner Taverne stand.
An diesem Abend war an eine Anstellung in einer Taverne nicht mehr zu denken. Taleke nutzte stattdessen die noch hellen Stunden, um sich flussabwärts umzusehen, wo die Wakenitz durch einen Damm mit Wassermühle aufgestaut worden war. Innerhalb der Stadtmauer lebten offenbar Handwerker.
Je mehr sie sich dem Dom näherte, dessen Spitze sie von überall sehen konnte, desto stattlicher erschienen ihr die Häuser, zwischen denen es kaum mehr kaufmännische Speicher gab. Auf den Gassen waren Reiter unterwegs, manchmal mit einer Eskorte aus bewaffneten Knechten mit Standarten, und gelegentlich erschien eine Sänfte zwischen Trägern, die mit lauten Warnrufen schnellen Durchlass verlangten, und aus deren Fensteröffnungen sich dünne, bunte Schleier stahlen. Fasziniert sah Taleke ihnen nach. Anscheinend befand sie sich in einer Straße, in der die Adeligen wohnten, wenn sie nicht gerade auf ihren Gütern, wie Schönrade eines war, zum Fest einluden.
Später kam sie in der Nähe des Doms durch Straßen, die von düster aussehenden Priestern bevölkert waren und sie an den Pastor zu Hause erinnerten. Da machte sie sich lieber aus dem Staub.
Als es dämmerte, wusste Taleke, wo sie am nächsten Morgen nach einer Taverne suchen musste: am Hafen, dort, wo sie angekommen war.
Die Nacht verbrachte sie in einem sanft schaukelnden Nachen und träumte von einem Leben als angesehene Geschäftsfrau, die arme Lübecker Witwen unterstützen konnte.
»Hast du etwas Hübsches anzuziehen?«
Taleke erschrak. Eine Waschfrau brauchte kein hübsches Kleid. »Ich kann bei jeder Arbeit zur Hand gehen, die anfällt«, erwiderte sie vorsichtig.
Der fette Wirt stieß ein brüllendes Gelächter aus und griff so schnell nach Talekes Brust, dass sie nicht ausweichen konnte, nicht einmal, als er diese wie einen Teig zu kneten begann. »Hände habe ich genug. Was ich brauche, sind Titten. Schön prall, an einem gefälligen Körper …«
»Flegel!« Taleke klatschte ihm ihre Hand ins Gesicht und nutzte seine Überraschung, um sich gewaltsam loszureißen. Dann eilte sie blind vor Tränen zur offenen Tür, wo sie den von Abfall übersäten Kellerhals nach oben stolperte. Wer als Hure begann, endete auch als Hure. Für ein solches Schicksal hatte sie Schönrade nicht hinter sich gelassen.
Überhaupt kam ihr erstmals der Gedanke, dass in einer Stadt niemand gebraucht wurde, der sich seinen Lebensunterhalt durch einfache Arbeit verdienen wollte.
Am Traveufer ließ sie sich gleichgültig in den allgegenwärtigen Dreck sinken, um sich von dem Überfall zu erholen. Gedankenlos folgte sie mit den Augen den kleinen Jungen in abgetragener, schäbiger Kleidung, die noch keiner geregelten Arbeit nachgingen, aber mithalfen, die Familie zu ernähren. Unermüdlich warfen sie ihre Schnüre aus und fingen handtellergroße Fische.
Sollte sie selbst Fische fangen und sie aus Mangel an einer Feuerstelle roh hinunterschlingen, nachts in einem Nachen schlafen, ständiger Gefahr durch lüsterne oder betrunkene Männer ausgesetzt?
Nein, noch waren ihre Ansprüche an ihr zukünftiges Leben höher. Taleke atmete tief durch, säuberte ihren Kittel gründlicher als bisher und verflocht das von einem Nachen gestohlene neue Tau zu einem gefälligen Gürtel. Sie nahm sich vor, ihre Auswahl der in Frage kommenden Tavernen jetzt mit größter Vorsicht zu treffen, und machte sich wieder auf den Weg. Etwas Besseres war ihr noch nicht eingefallen.
Für einen kurzen Moment gab ihr ein großes,
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