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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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Latein? Verstehen konnte sie es nicht, aber einige Buchstaben entzifferte sie.
    Um solche Texte lesen zu können, durfte sie nach Herzenslust üben, ohne dass Nicolaus sich beschweren konnte. Sie freute sich darauf.
     
    Mutter Emihild schmunzelte, als hätte sie es nicht anders erwartet, als dass Taleke am vierten Tag alle Buchstaben lesen konnte. Ein wenig langsam ging noch das Zusammenfügen der Buchstaben zu Wörtern, aber es klappte besser, als Taleke Worte ihres täglichen Gebrauchs wählte, wie Essen, Bett oder Pastete.
    »Du überrundest meine anderen Schülerinnen«, bemerkte Emihild ein wenig besorgt, und daran merkte Taleke, dass die Begine Rücksicht auf die reichen Mädchen zu nehmen hatte.
    Nicolaus hingegen war erstmals äußerst zufrieden mit ihr. »Du hilfst mir jetzt mit den Werken, die Meister Josse mir als Unterrichtsstoff vorgeschrieben hat«, ordnete er an.
    »Gerne«, sagte Taleke dankbar, um kurze Zeit später festzustellen, dass alle in lateinischer Sprache geschrieben waren. Sie las vor, er übersetzte und diktierte ihr den Text, den sie niederschrieb.
    »Ich möchte Latein lernen«, bat sie ihre Lehrerin in der nächsten Unterrichtsstunde. Was Nicolaus konnte, sollte sie wohl auch können.
    »Ja.« Emihild war überrascht. »Eigentlich ist das ein Fach, das nur in der Lateinschule gelehrt wird. Natürlich könnte ich dich darin unterrichten. Aber du wirst die Sprache nicht in drei Tagen beherrschen.«
    »In fünf?«, schlug Taleke vor.
    »Wo denkst du hin? Ein oder zwei Jahre, dann hast du die nötigen Grundlagen … Du bist ja ein Wunder des Herrn«, murmelte Mutter Emihild und schien sich fast zu fürchten.
    »Nein!«, rief Taleke erschrocken. Sie durfte keinesfalls anders als andere sein! »Ich werde so langsam lernen, wie Ihr es für richtig haltet. Ich schwöre es!«
    »Taleke, Taleke, du bist hoffärtig.« Emihild schlug das Kreuz. »Hoffentlich nimmt es mit dir kein schlimmes Ende. Besuchst du denn fleißig die Messe?«
    »Gelegentlich die von Saint-Jacques, weil mir die Fleischer am nächsten stehen, solange die Gänsezüchter keine eigene Innungskirche haben. Aber der Mann, dem ich den Haushalt führe, geht oft in die Kirche Saint-Germain gleich neben unserem Haus. Er hofft, auch einmal den König zu Gesicht zu bekommen, der sich dort gelegentlich zeigen soll«, beteuerte Taleke. »Dieser Mann ist so fromm, dass es für uns beide reicht.«
    Emihild starrte Taleke erschüttert an, dann schüttelte sie bekümmert den Kopf. »Jeder betet für sein eigenes Seelenheil.«
    »Das kann nicht sein. Nicolaus hat Saint-Germain Geld bezahlt, um für uns beide ausreichend Anteile aus dem Gnadenschatz des Herrn zu erwerben. Er ist Kaufmann, müsst Ihr wissen, er kann mit Zahlen hervorragend umgehen. Ich habe selber gesehen, wie er die Rechenpfennige verschoben hat, um die Jahre auszurechnen, die wir als Ablass erhalten haben. Ich schwöre Euch, was wir auch anstellen, wir haben dreieinhalb Jahre gut!«
    Mutter Emihild griff sich mit beiden Händen entsetzt an die Haube. »Taleke, es ist besser, wenn du über dieses Thema nicht mehr sprichst. Jedenfalls nicht so. Auf einen solchen Disput können sich nur hochrangige Geistliche einlassen, ich nicht. Wenn ich aber merke, dass du Gedanken hegst, wie sie unter Ketzern als Anklage gegen unsere Kirche vorgebracht werden, müssten wir dir den Schulbesuch, so leid es uns tut, verweigern. Dabei möchte ich dich als Schülerin nicht verlieren. Lieber versuchen wir es mit Latein in fünf Tagen.«
    »Ja, auf den Handel lasse ich mich ein«, sagte Taleke versöhnt und wollte wieder nach dem Saum ihrer Lehrerin greifen, besann sich aber auf halber Strecke. Um nichts in der Welt wollte sie sie verärgern.
     
    Es waren mehr als fünf Tage notwendig, um Latein zu lernen, aber Taleke war mit Begeisterung bei der Sache und machte schnelle Fortschritte. Zu ihrer Verwunderung unterstützte Nicolaus sie dabei, indem er sie ermunterte, auch nachts noch zu üben. Dann waren da noch die Gänse, um die sie sich kümmern musste, und manchmal fiel Taleke vollkommen erschöpft auf ihr Lager.
    Eines Tages ging ihr endlich auf, warum Nicolaus so sehr darum zu tun war, dass sie im Haus blieb: Er betrachtete sie als sein Eigentum. Er bezahlte. Und solange Taleke lernte, blieb sie im Haus. Im Grunde störte sie sich nicht an seinen Gründen. Er bekam, was er wollte – sie aber auch.
    Damit Nicolaus mehr Zeit fürs Lernen erhielt, gewöhnte Taleke sich an, ihm alle Texte

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