Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
Vom Netzwerk:
ihrem Besuch bei Meister Josse, vor allem von der gebratenen Gans. Josses Verdacht und die Begegnung mit Adaliz ließ sie aus ihrem Bericht aus. Womöglich hätte Nicolaus den Lehrvertrag sonst hingeworfen – mit der Begründung gesellschaftlicher Verfemung seines Lehrherrn. Und wahrscheinlich wäre sein Vater damit sogar einverstanden gewesen.
    Dass Nicolaus in Gefahr war, durch seine Prüfungen zu rasseln – so legte Taleke jedenfalls Josses Warnung aus –, erfüllte sie mit tiefer Besorgnis, doch sie wusste nicht, wie sie es ihm andeuten sollte. Plötzlich schreckte sie aus ihren Gedanken hoch.
    Nicolaus hatte das Zimmer durchquert und stand neben ihr. »Du hast mit Josse nichts zu bereden, als wärst du meine Mutter! Das kann ich überhaupt nicht leiden! Pass nur auf, du!«, brüllte er. Seine hasserfüllte Miene warnte Taleke zu spät. Er stieß sie brutal vom Hocker und trat ihr, als sie auf dem Boden lag, in die Seite, dass ihr die Luft wegblieb. Dann rannte er hinaus.
     
    Die Schmerzen trieben Taleke Tränen in die Augen. Lange nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, rappelte sie sich hoch und sank auf ihr Lager. Was sie am meisten verstörte, war, dass er sie misshandelt hatte, obwohl er nicht betrunken gewesen war. Diese plötzlichen Anfälle hatte er bisher nur unter Einfluss von Wein gehabt.
    Irgendwann musste sie vor Erschöpfung weggedämmert sein. Mitten in der Nacht wachte sie durch Nicolaus’ Schnarchgeräusche auf und konnte danach nicht mehr einschlafen, weil die Sorgen mit schweren Galoppsprüngen durch ihren Kopf jagten.
    Vor allem hatte sie plötzlich Angst, dass Nicolaus sie hinauswarf. Bestenfalls würde sie bei den Bettlern landen, die jenseits des Quartier Latin in den Katakomben hausten und organisiert waren. Die Aufnahme einer Fremden in ihre Gilde würden sie aber wohl ablehnen. Dann bliebe ihr nur, ihr Leben als Dirne zu fristen. Als heimliche Hure auf eigene Rechnung und mit der entsprechenden Gefahr für Leib und Leben, oder in einer der Hurenstraßen des Quartier Latin, wo Männer Schutz gegen Bezahlung boten.
    Jetzt, da sie so weit gekommen war in der Kunst des Lesens, Schreibens und Rechnens und die Welt anders betrachtete als noch vor einem Jahr, konnte sie sich ein Leben unter Bettlern oder Huren nicht mehr vorstellen. Taleke schnaubte verächtlich, als sie sich einen gierigen, sabbernden alten Bock vorstellte, der sie bestieg und begrabschte, während sie lateinische Vokabeln repetierte, bis er endlich fertig war.
    Nein, es kam nicht in Frage. Sie musste alles tun, um Nicolaus zu besänftigen und für ihn unersetzlich zu bleiben.
     
    Am nächsten Tag bekam Taleke Nicolaus nicht zu Gesicht. Als sie morgens erwachte, war er fort. Bei beginnender Dunkelheit aber erhielt sie von ihm durch einen jungen Burschen die Botschaft, dass Nicolaus sie dringend in der Gasse der Töpfer erwarte.
    Taleke hatte sich auf dem Weg zu Josse einmal verlaufen, daher kannte sie die Gasse flüchtig. Sie erinnerte sich an eine steinerne Kapelle, die sie von weitem gesehen hatte. Sie warf sich ihren Umhang über und machte sich auf den Weg, obwohl die Dunkelheit jetzt rasch fiel. Nicolaus brauchte sie, wahrscheinlich bereute er seinen Ausfall.
    Mehr Lebenszeichen als ein flackerndes Licht am Ende der Gasse gab es nicht. Beherzt schritt Taleke an den Hausmauern entlang, um die Kotrinne zu meiden. Seltsam jedoch, dass alles so unbelebt wirkte. Sie beruhigte sich damit, dass wahrscheinlich hier kaum noch Töpfer arbeiteten, denn ihre Brennöfen waren gefährlich in einem armen Viertel, in dem sich jedes freie Fleckchen in den Hinterhöfen mit hölzernen Bruchbuden füllte und sich immer mehr Einwanderer vom Land zusammendrängten.
    Von Nicolaus keine Spur, dabei hätte er ihr doch vielleicht entgegenkommen können. Mit wachsender Unruhe patschte sie in der immer schmaler werdenden Gasse durch Kot und stinkenden Unrat.
    Ihr wurde unheimlich zumute.
    Als sie menschliche Stimmen vernahm – allerdings aus der Richtung, aus der sie gekommen war –, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Dann hörte sie ein absonderliches Trommeln auf dem Boden und plötzlich das Quieken von Schweinen. Eine ganze Herde schien die Gasse heraufzujagen. In ihre Richtung.
    In ihrer Panik würden sie sie niedertrampeln. Entsetzt versuchte Taleke, eine Tür aufzudrücken, um sich in ein Haus zu retten, doch die Türen waren alle verrammelt. Taleke begann zu rennen.
    Schließlich trafen ihre klopfenden und tastenden

Weitere Kostenlose Bücher