Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
schwarz?«
Der wilde graue Haarschopf vor und unter ihr flog von einer Seite zur anderen. »Ich weiß es nicht.«
Die Kammer ihres Herrn lag zwei Stockwerke unter ihrem Dachgeschossraum. Sie zog die schweren, mit Kampfer imprägnierten Vorhänge des großen Himmelbetts zurück. Palladio war mit Nachtmütze und Hemd bekleidet und wand sich in Fieberkrämpfen auf der Matratze. Sein Bart und sein Haar waren mit Schweiß durchtränkt. Aber sie schöpfte neuen Mut. Seine Haut war erhitzt und gerötet, nicht grau verfärbt und fahl wie ein von der Pest ausgezehrtes Gesicht. Sie hob seine Finger an und stellte fest, dass sie rosig schimmerten, und als sie die harten Kuppen drückte, floss das Blut sofort in die weißlichen Dellen zurück. Sie wies Zabato an, die Kerze still zu halten, und untersuchte die Achselhöhlen. Sie waren zwar schweißnass, wiesen aber keine Beulen auf.
Ohne einen Gedanken an Anstand und Schicklichkeit zu verschwenden machte sie Anstalten, sein Hemd hochzuziehen, um die Leistengegend abzutasten, doch da sah sie die Schwellung, die Zabato erwähnt hatte. Sie ragte gelb und fest wie eine Quitte aus der Seite von Palladios linkem Knie. Erleichterung durchströmte sie. Hier handelte es sich nicht um die Pest. Doch die Erleichterung hielt nicht lange an, denn ihr Herr war alt und wurde von einem heftigen Fieber geschüttelt.
Corona Cucina, die mit etwas Grappa für ihren Herrn in den Raum gekommen war, stellte ihr Tablett klirrend neben dem Bett ab und bekreuzigte sich so hastig, dass ihre Hände förmlich vor ihrem Busen verschwammen. »Ist es die Pest? Das Ende von uns allen?«, jammerte sie.
»Nein«, versetzte Feyra knapp und gab ihr den Grappa zurück. »Nimm das weg – es tut ihm nicht gut. Koch ihn auf, bis er Blasen wirft, und bring ihn dann zurück.« Sie meinte, die Ursache der Schwellung zu kennen. Palladio litt an der Gicht. Sie hatte diese Diagnose schon gestellt, als sie ihn an dem Tag, an dem ihr Vater gestorben war, in der Ruine von Giudecca hatte umherhinken sehen. Die Schwellung am Knie, die von einer Flüssigkeitsansammlung im Gelenk herrührte, hatte sich entzündet und musste geöffnet werden. Sie seufzte, als sie ihren Gürtel abnahm und sich zurechtlegte, was sie brauchte. Hätte sie diesen Mann in ihrer Obhut gehabt, hätte sie die Gicht behandelt, und Palladio hätte dieses Stadium gar nicht erst erreicht.
Sie erhitzte ihr silbernes Skalpell in dem blauen Herzen der Kerzenflamme und legte es danach zum Abkühlen beiseite. Dann nahm sie etwas von ihrer kostbaren Roten Betonie und Zitronenbalsam zum Beschleunigen des Heilungsprozesses aus ihrem Gürtel, riss ein Stück Leinen vom Laken des Herrn ab und bestreute es mit Kalk. Alles war vorbereitet.
Mit dem furchtbaren Gefühl, eine Szene erneut zu durchleben, öffnete sie die gichtige Schwellung und sah zu, wie der grünliche Eiter auslief. Sie wartete eine Weile, dabei betupfte sie die Wunde einmal mit Corona Cucinas dampfendem Grappa. Dann nahm sie Nadel und Faden und zog beides durch die Flüssigkeit, um es anzufeuchten. »Erbarmen!«, entfuhr es der Köchin, die jede ihrer Bewegungen verfolgte. »Du wirst doch wohl unseren Herrn nicht zunähen wollen wie ein Kissen?«
»Halt sein Bein fest«, antwortete Feyra in befehlendem Ton, »und gieß ihm den Rest Grappa in den Mund, wenn er aufwacht.«
In der osmanischen Gesellschaft war Alkohol verboten, er durfte nur in den Krankenhäusern als Medizin eingesetzt werden. Im Topkapi-Palast pflegten die Pagen des dritten Hofes immer Beschwerden vorzutäuschen, um ins Krankenhaus geschickt zu werden und den Wein trinken zu können. Bei der Erinnerung lächelte Feyra grimmig und erhitzte die Nadel in der Flamme, ließ sie diesmal aber nicht abkühlen, damit die Hitze das Fleisch veröden würde. Nun begann sie die Wunde Stich für Stich säuberlich zu nähen. Wie Haji Musa es ihr beigebracht hatte, schlang sie den weingetränkten Faden unter jedem Stich zu einer Schlinge, um ihm festen Halt zu geben. Nachdem sie den Faden verknotet und abgeschnitten hatte, öffnete sie eine Lederkapsel aus ihrem Medizingürtel, streute ein wenig gemahlenes Glas auf die Wunde, legte Betonie darüber und verband das Bein mit dem kalkgepuderten Leinen. Palladio schien nichts davon zu spüren.
»Ich werde diese Nacht hier wachen«, teilte Feyra Zabato mit. Dieser nickte und führte die lautstark protestierende Corona Cucina aus dem Raum.
In den frühen Morgenstunden fiel Feyras Kopf gegen das
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