Die Heilerin
geht zum Stadttor? Dann können wir noch ein Stück weit gemeinsam gehen.« Pastorius strahlte. »Ich hatte so gehofft, noch mal mit Euch sprechen zu können.«
»Worüber?«
Pastorius biss sich auf die Lippe. »Wie denkt Ihr heute Morgen über die Sache?«
»Über die Neue Welt? Nicht anders als gestern auch. Ich kann es mir nicht vorstellen, vielleicht will ich es mir auch nicht vorstellen. Ich habe die Stadt noch nie für eine längere Zeit verlassen. Weiter als bis Moers oder Uerdingen bin ich nicht gereist. Die Ferne, die Reise an sich machen mir Angst.«
»Ich kann Euch durchaus verstehen«, sagte er nachdenklich. Für eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. »Vielleicht …«, sagte er dann zögernd. »Vielleicht kann ich Euch die Angst ein wenig nehmen, Mejuffer op den Graeff, wenn ich Euch schreibe. Ich könnte Euch von meiner Reise berichten, zumindest bis Rotterdam.«
Margaretha sah ihn an, verlegen schaute er zur Seite. »Ich wollte … wollte nicht … aufdringlich sein«, stotterte er.
»Euer Vorschlag ist nicht aufdringlich.« Margaretha dachte nach. »Das würdet Ihr wirklich tun? Mir Briefe schreiben?«
»Ja, wenn ich darf?«
»Natürlich. Aber Ihr müsst versprechen, ehrlich zu sein.« Sie lächelte.
»Ihr meint, ich soll nichts beschönigen? Das werde ich nicht, ich verspreche es.«
Als sie das Stadttor erreichten, trennten sich ihre Wege. Pastorius schaute Margaretha noch einmal lange an, so als wolle er sich ihren Anblick genau einprägen. Dann reichte er ihr die Hand.
»Mejuffer op den Graeff, der Besuch bei Eurer Familie war sehr wohltuend. Ich glaube, ich habe gute Mitstreiter in Euren Reihen gefunden.«
Margaretha senkte den Blick.
»Verzeiht, Mejuffer, ich weiß, Ihr denkt anders über das Thema als ich.« Er drückte ihre Hand.
»Haben meine Brüder Euch ihre Entscheidung schon mitgeteilt?«
»Nein, das haben sie noch nicht. Und selbst wenn sie sichdazu entschließen, das Land nicht zu verlassen, so weiß ich, dass sie rechte Mitstreiter des Glaubens sind. Falls Eure Familie aber doch nach Pennsylvania auswandert, werde ich mich freuen, Euch dort willkommen heißen zu dürfen. Ihr seid nicht nur anmutig, sondern auch eine kluge und angenehme Gesprächspartnerin.«
»Ich danke Euch, Mijnheer«, sagte sie leise. Sie sah ihm hinterher, als er die Straße entlangging, und fragte sich, ob sie ihn jemals wieder sehen würde.
Kapitel 24
Zwei weitere Tage hintereinander versammelten sich die Krefelder Quäker im Hause der Brüder op den Graeff, sie diskutierten und rechneten. Dann stand ihre Entscheidung fest. Von den zwanzig Familien, die sich zu der Gemeinschaft der Freunde zählten, beschlossen zehn weitere Familien mit den Brüdern op den Graeff nach Pennsylvania auszuwandern.
»Wir werden gehen«, verkündete Abraham der Familie am Abend, während sie um den Tisch saßen und auf das Essen warteten. Margaretha ließ die Schale fallen, die sie gerade mit Suppe füllen wollte. Klirrend zerbrach das Steingut auf dem Boden. Die junge Frau schlug die Hand vor den Mund, Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Nun, nun«, sagte Abraham beruhigend. »Wir können zwar nicht alles an Geschirr mitnehmen, aber zerwerfen musst du es auch nicht.« Er lachte. Gretje aber stand auf und nahm ihre Tochter in den Arm.
»Wir haben beschlossen, das Angebot der Frankfurter Land Compagnie anzunehmen«, sagte Hermann ernst. »Diese Entscheidung haben wir uns nicht leichtgemacht, aber nachdem wir alles abgewogen haben, sind wir der Meinung, dass unsere Zukunft in der Neuen Welt liegt. Dort können wir derVerfolgung und Ächtung, die wir und unsere Glaubensbrüder seit Jahrzehnten erfahren, entgehen und ein neues, ein gottesfürchtiges und freies Leben beginnen. Wir haben uns dazu entschlossen auch im Sinne unserer Kinder, die frei im Glauben aufwachsen sollen.«
»Wovon werden wir leben?«, fragte Margaretha tonlos.
»Das wird sich zeigen«, sagte Dirck. »Vielleicht müssen wir am Anfang Ackerbau und Viehzucht betreiben. Ganz unerfahren sind wir ja nicht, was das angeht. Aber auch dort müssen die Menschen Kleidung und Decken, Tuche und Stoffe haben. Weber werden sicher gebraucht.«
Gretje setzte sich an den Tisch, den Rücken hielt sie kerzengerade, die Hände faltete sie im Schoss. »Ihr habt euch das sicher reiflich überlegt, min Zoons. Bestimmt habt ihr alle Dinge bedacht und auch die Schwierigkeiten und Unabwägbarkeiten gesehen.« Sie schluckte. Esther stand auf und füllte
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