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Die Heilerin

Die Heilerin

Titel: Die Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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übernachtet, wird den Brief mitnehmen und weiterleiten.
    Ich traue mich kaum zu fragen – hat Eure Familie eine Entscheidung getroffen? Mich bewegt dieser Gedanke sehr, denn diese Entscheidung, ob nun dafür oder dagegen, wird Euer Leben verändern. Auf der Fahrt heute, so schaukelnd und unbequem sie war, musste ich immer wieder an Euch denken. An das erste Mal, als wir uns vor der Stadt getroffen haben und Ihr so unbefangen, offen und freundlich mit mir gesprochen habt. Ihr kamt aus dem Wallgarten, hattet Euren Neffen an der Hand. Obwohl Ihr den ganzen Tag im Garten gearbeitet hattet, wirktet Ihr munter und fröhlich. Eure Wangen waren gerötet, die Augen strahlten. Für mich ward Ihr der Inbegriff des Lebens, so frisch und aufgeweckt. Verzeiht, wenn das ein wenig seltsam klingt. Ich stehe auf der Schwelle zur Abreise in eine fremde Welt und rufe mir gerade die Bilder des Lebens hier ins Gedächtnis. Ich möchte nicht fahren ohne wirkliche Überzeugung. Bisher hatte ich die. Ohne Frage wollte ich ein neues, ein Leben mit Gott und für den Glauben in einer fremden Welt beginnen. Alle Fragen, alle Zweifel, denen ich bislang begegnet bin, konnte ich für mich abwiegeln. Doch dann traf ich Euch, Mejuffer op den Graeff. Eure Fragen waren anders als die der anderen. Eure Fragen haben mein Herz getroffen. Ist das Aussiedeln in eine fremde Welt, auf einen fernen Kontinent nicht eher eine Flucht? Kann man nicht wahrlicher seinen Glauben da vertreten, wo er abgelehnt und verfolgt wird? Flieht man in eine andere Welt, in ein neues Leben voller Hoffnung und lässt andere zurück, die nicht die Möglichkeiten haben?
    Diese Fragen stelle ich mir, und ich stelle sie mir erst, seit ich Euch kenne. Noch komme ich zu keiner Antwort, doch mein Land habe ich schon gekauft. Noch habe ich nicht den Hafen erreicht, das Schiff nichtbetreten. Für mich gäbe es noch ein Zurück. Aber was ist mit Eurer Familie? Solltet Ihr aufbrechen, dann wäre es ein Abschied für immer. Das bedrückt mich plötzlich. Auch das Wissen, dass Ihr, Mejuffer op den Graeff, Euch der Entscheidung Eurer Brüder fügen müsst. Ihr würdet nicht voller Begeisterung reisen, nicht mit Überzeugung. Ihr habt keine Wahl. Das stimmt mich traurig. Ich hätte lieber, dass auch Ihr voll des Mutes, des Glaubens und der Hoffnung Pennsylvania erreicht.
    Meine Kerze brennt nieder, der Tag war lang, die folgenden werden vermutlich länger. Ich schließe hiermit.
    Euer
    Franz Daniel Pastorius«
     
    Margaretha ließ den Brief sinken, starrte in das Feuer des Kamins. Seine Worte wühlten sie auf. Sein Auftreten war so sicher gewesen, so überzeugt. Angst hatte er nicht gezeigt, als er vom Staat Pennsylvania berichtete. Und nun klangen Zweifel an. Zweifel, die er nicht benannte, sondern auf sie reflektierte. Obwohl sie mit der Entscheidung der Brüder haderte, stellte sie sie nicht in Frage. Es gab keine Möglichkeit für sie, in Krefeld zu bleiben. Darüber hatte sie auch nie nachgedacht. Sie liebte ihre Familie, wollte mit ihr zusammenbleiben, etwas anderes wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Sie holte Papier, Federkiel und Tinte, schrieb eine Antwort.
     
    »Lieber Mijnheer Pastorius,
    auch Euer zweiter Brief hat mich erreicht. Ich sitze hier und lese Eure Zeilen. Vielleicht wäre es wirklich ehrlicher und gottfürchtiger, im Lande zu verbleiben und sich den Repressalien der Protestanten auszusetzen, gegen sie, aber für den Glauben, einzustehen. Doch das ist nicht das, was William Penn will. Er möchte neu anfangen, in der neuen, in der sicherlich fremden und unbekannten Welt.
    Diese Möglichkeit haben meine Brüder begriffen und wollen sie wahrnehmen. Ein Leben frei im Glauben. Eine wunderbare Vorstellung, die auch mich begeistert. Ihr habt mich falsch verstanden. Die Idee an sich finde ich berückend, sie fasziniert mich. Aber der Weg dahin, der Weg wird steinig und schwer. Ihr seid nun in Nijmegen. Dafür habt ihr drei Tage gebraucht, oder waren es vier? Wenn wir reisen werden, werden wir länger brauchen. Schon jetzt packen und sortieren wir. Unser Haushalt umfasst zehn Personen, die Kleidung, Nahrung, Betten und andere Dinge benötigen. Ihr reist bisher mit einem Kleidersack und ohne weiteres Gepäck. Habt Ihr Geschirr? Besteck? Werkzeug? Vorräte? Bisher brauchtet Ihr das nicht, seid bei Familien wie der meinigen untergekommen, habt gegessen, gebadet, in unseren Betten geschlafen. Nun schlaft Ihr in Gasthöfen. Reist schnell und vielleicht unbequem, aber Ihr seid

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