Die Heilerin
eine Menge Dinge mussten geregelt werden, und plötzlich erschien es so, als liefe ihnen die Zeit davon.
Am frühen Abend nahm Margaretha ihr Schultertuch und rief den Hund. Die Luft war lau, noch war es nicht wirklich dunkel. Sie hatte das Gefühl, eine Weile für sich sein zu müssen. Viele Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. In der Gasse traf sie einen Boten.
»Ihr seid doch Mejuffer op den Graeff?«, fragte der junge Mann.
»Ja.«
»Ich komme aus Uerdingen, von der Fähre. Ich habe einen Brief für Euch.« Er reichte ihr den Umschlag, nickte ihr zu und ging.
Verwirrt suchte Margaretha in ihrer Manteltasche nach einer Münze, doch der Mann entfernte sich zu schnell. Sie nahm den Umschlag in beide Hände. Ihr Name stand deutlich geschrieben auf der Vorderseite. Sie brach das Siegel und öffnete das Schreiben.
»Liebe Mejuffer op den Graeff,
so schnell als möglich möchte ich mein Versprechen, Euch zu schreiben, einhalten.
Vor einem Tag habe ich Krefeld verlassen, und noch immer bin ich in Gedanken in Eurem Haus, rieche die Düfte der reichhaltigen Küche, höre die vielen Stimmen Eures Haushalts. Der Eindruck, den Eure Familie bei mir hinterlassen hat, ist tief und prägend. Eure Familie ist die letzte, die ich auf meiner Reise im Namen der Frankfurter Land Compagnie besucht habe. Von jetzt an werde ich meine Kraft und mein Bestreben auf die Reise lenken. Doch Eure fröhliche und freundliche Familie wird immer als Bild vor meinen Augen stehen. Irgendwann einmal möchte ich auch Teil so einer Familie sein.«
Margaretha hielt inne. Gut, dachte sie, dass Ihr am gestrigen Abend nicht mehr hier wart, dann wäre Euer Eindruck von der harmonischen Familie sehr plötzlich in sich zusammengefallen. Sie lachte leise, dann schaute sie sich um. Immer noch stand sie auf der Straße, um sie herum gingen Menschen, Pferde trabten entlang, und Fuhrwerke suchten ihren Weg. Dies war kein Ort, um den Brief zu lesen. Doch die Küche daheim, inmitten der Vorbereitungen für das Abendessen, war auch kein passender Platz. Um auf ihr Zimmer zu gelangen,musste sie durch die Küche, und das würde nicht ohne Fragen gehen.
Sie schlug den Weg zu der kleinen Gasse ein, die hinter den Häusern und zwischen den Gärten entlangführte, eilte diese hinunter. Die Gartenpforte war verschlossen, doch hinter einem losen Stein in der Mauer, den nur sie und Dirck kannten, befand sich ein Schlüssel. Sie hatten ihn dort deponiert, um heimlich das Haus verlassen und genauso zurückkehren zu können. Schon eine Weile, seit die Stimmung in der Stadt schwierig geworden war, hatten sie ihn nicht mehr benutzt. Doch nun tat er seinen Dienst. Margaretha öffnete die Pforte und ging in den Garten. Am Stall setzte sie sich auf die kleine Gartenbank. Jonkie seufzte und legte sich ihr zu Füßen.
Margaretha öffnete den Brief erneut und las weiter.
»Doch bevor ich an eine Familie denken kann, muss ich erst einmal die Wagnisse dieser Reise bestehen.
Von Eurem Haus aus wanderte ich mit schnellem Schritt nach Uerdingen. Man hatte mir versichert, dass ich dort jederzeit auf einem der Lastkähne den Rhein hinunterfahren könne, aber als ich das Städtchen erreichte, lag kein Lastkahn am Kai. Man konnte mir auch keine Auskunft darüber geben, ob ich am nächsten Tag bessere Möglichkeiten haben würde. Obgleich ich mich schon an den Gedanken gewöhnte, dass meine weitere Reise sich verzögern würde, war mir das Glück hold. Die Postkutsche traf ein. Mit ihr konnte ich bis nach Moers weiterreisen. Die Stadt erreichten wir gegen Abend, und ich nahm dort ein Nachtquartier. Am nächsten Tag, also heute, hatte ich wieder Glück und konnte bei jemandem in der Kutsche bis nach Goch fahren. Die Straße, das muss ich zugeben, war so schlecht, dass wir ordentlich durchgeschüttelt wurden. Doch die Landschaft mit den Feldern und Weiden, den dichten Wäldern undden vielen Wasserläufen hat mich für die holperige Fahrt entschädigt. Das eine oder andere Mal mussten wir aussteigen und neben dem Gefährt gehen, wenn der Weg gar schlecht war oder die Steigung zu hoch. Aber auch das machte mir nichts aus. Wir erreichten Goch. Nun sitze ich hier in einem kleinen Gasthof, labe mich an Brot und Wein und schreibe Euch schnell diese Zeilen. Die Postkutsche fährt heute Abend noch zurück nach Moers. Von dort soll ein Bote Euch diesen Brief überbringen. Ich hoffe, meine Zeilen erreichen Euch bei bester Gesundheit, und verbleibe mit hochachtungsvollen Grüßen
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