Die Heilerin
auch an Eure Familie
Euer
Franz Daniel Pastorius«
Margaretha ließ das Blatt auf ihre Knie sinken. In Goch war er nun, nein, inzwischen war er sicher schon weitergereist. Sie las den Brief erneut, sog die Beschreibung in sich auf. Wie würden sie reisen? Mit dem Kahn? Oder zu Fuß? Würden sie auch über holperige Wege gehen? Die Nächte im Gasthof verbringen? Sie wusste es nicht. Der Gedanke an die ungewisse Zukunft machte sie bange.
Doch dann schüttelte sie den Kopf, faltete den Brief sorgfältig und steckte ihn in die Schürzentasche. Ob er noch einmal schreiben würde? Sollte sie ihm antworten? Sie war sich nicht sicher. Den ganzen Abend über grübelte sie darüber, schließlich ging sie zu Bett, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben. Der Vollmond erleuchtete den Garten hell. Sie konnte nicht in den Schlaf finden. Nachdem sie sich von einer Seite auf die andere gedreht hatte, stand sie wieder auf. Sie nahm ihr Schultertuch und ging in die Küche. Im Herd glühten die letzten Reste des Feuers, es war angenehm warm. Mit einem Kienspann zündete sie die Kerze an, holte Papier, Federkiel und Tinte aus der Stube und setzte sich an den Küchentisch.
»Mein lieber Mijnheer Pastorius,
heute erreichten mich Eure Zeilen, die Ihr gestern in Goch geschrieben habt. Überraschend schnell hat der Bote den Weg hierher gefunden.
Ich habe Eure Zeilen voller Erwartung gelesen, denn, und dies wird Euch freuen, meine Brüder haben beschlossen, Euch zu folgen und nach Pennsylvania zu ziehen.«
Sie hielt inne, las das Geschriebene noch einmal. Pastorius wusste, wie sie über dieses Vorhaben dachte. Sollte sie nun freundliche und nette Worte finden? Sie beschloss, weiterhin ehrlich zu ihm zu sein.
»Obwohl mich die Entscheidung nicht überraschte, habe ich mich dennoch noch nicht ganz mit dem Gedanken abgefunden, nun bald mein Zuhause verlassen zu müssen. Ich möchte Euch jedoch nicht verhehlen, dass Eure Worte mich aufgemuntert haben. Die Beschreibung der Reise interessiert mich sehr, denn schon bald werden wir uns auch auf den Weg machen. Ich würde mich freuen, mehr von Euch zu hören und verbleibe mit herzlichen Grüßen
Margaretha op den Graeff«
Margaretha überlegte, ob sie noch etwas hinzufügen sollte, unterließ dies jedoch dann. Pastorius hatte eine Adresse in Rotterdam hinterlassen, an diese würde sie den Brief schicken. Sie faltete den Bogen Papier zusammen, versiegelte ihn und legte ihn auf ihre Kleiderkiste. Am nächsten Morgen gab sie dem Knecht eine Münze und den Brief, bat ihn, diesen jemanden mitzugeben, der zur Poststation in Uerdingen fuhr.
Am späten Nachmittag klopfte es an die Haustür. Margaretha knetete gerade den Brotteig und bat Samuel, der in der Küche mit seinen Holztieren spielte, die Tür zu öffnen. DieMänner webten mit aller Kraft, Gretje, Esther und Catharina waren auf dem Dachboden und sortierten die Besitztümer.
Samuel ging zur Tür und kam mit einem Brief zurück. Erstaunt sah Margaretha, dass ihr Pastorius ein weiteres Mal geschrieben hatte.
»Leg den Brief auf das Fensterbrett«, sagte sie. Doch dann siegte ihre Neugierde, und sie strich den klebrigen Teig von ihren Fingern, wusch sich die Hände und trocknete sie sorgfältig ab. Sie nahm den Brief, drehte ihn ein paar Mal in den Händen, brach schließlich das Siegel. Sorgfältig strich sie das Blatt glatt.
»Liebe Mejuffer op den Graeff,
ich hoffe, mein erster Brief hat Euch erreicht. Heute bin ich von Goch aus weitergereist. Diesmal hatte ich nicht soviel Glück wie gestern, nur ein Fuhrwerk nahm mich mit. Habe ich mich gestern über den holperigen Weg beklagt, möchte ich das heute wieder zurücknehmen. Neben Ferkeln und alten Kohlköpfen zu sitzen entbehrt jeder Romantik, da mag die Landschaft noch so schön sein. Schön war auch das Wetter an diesem Tag nicht. Morgens hielt sich der Nebel lange über den Feldern. Nachdem wir dann die Maas auf einer sehr schaukelnden Fähre überquert hatten, setzte ein feuchter Nieselregen ein. In den Niederlanden herrscht ein gemächliches Tempus, so scheint es mir. In Nijmegen verließ ich den Karren und suchte nach einer anderen Möglichkeit weiterzukommen.
Doch es war schon zu spät am Tag, und das scheußliche Wetter hinderte mich daran, zu Fuß zu gehen. Ich werde die Nacht hier verbringen. Beim spärlichen Licht einer Kerze schreibe ich Euch diese Zeilen und hoffe, sie erreichen Euch. Ein Fährmann, der mit mir in diesem schlichten Gemäuer
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