Die Heilerin
bekommen wir sicher so schnell nicht mehr heraus.« Wieder lachte sie. »Macht Euch nicht lächerlich. Es ist ein harter Winter, aber ansonsten gibt es kaum etwas, was anderswäre als in der Heimat. Gut, der Wilde – aber er bedroht uns doch nicht.«
Schweigend ging Pastorius neben ihr, nach ein paar Schritten fasste er ihre Hand. »Margret, ich bewundere Euch. Ihr nehmt alles mit Humor und Tatkraft. Ihr habt nicht einen Moment gezögert, als wir heute den Wilden entdeckt haben, dabei hätte unser Leben auf dem Spiel stehen können.«
»Nun ja, das war mir nicht bewusst. Sein Leben stand auf dem Spiel.«
»Ja, so denkt Ihr. Ihr kümmert Euch um die anderen, sorgt Euch um ihr Wohl, Euer eigenes scheint Ihr dabei oftmals zu vergessen.«
Schweigend gingen sie ein paar Schritte nebeneinander her.
»Ganz so ist das nicht«, sagte Margaretha nachdenklich. Immer noch hielt Pastorius ihre Hand in seiner. Es fühlte sich gut und vertraut an. »Ich denke schon auch an mich. Wir brauchen uns hier einander. Es ist wichtig, dass wir aufeinander achten. Und außerdem hat meine Mutter«, sie schluckte und spürte plötzlich die Tränen in den Augen, »mich das gelehrt.«
Pastorius ließ ihre Hand los, nahm sie in den Arm. »Ihr vermisst sie, nicht wahr?«
Margaretha nickte. »Sie war eine wunderbare Frau mit viel Herz und Wissen. Sie hat so manches Leben gerettet. Alles, was ich weiß, weiß ich von ihr. Und nun ist sie nicht mehr da. Ich kann sie nichts mehr fragen.« Sie schluchzte auf.
»Sie ist in Eurem Herzen, liebste Margret. Und sie ist nun bei Gott.«
»Ja, das ist mir ein Trost.« Margaretha wischte sich die Tränen von den Wangen, sah Pastorius an. Plötzlich wurde ihr klar, dass er nun der Mensch war, dem sie am meisten vertraute. Mit niemandem sonst, auch nicht mit Rebecca, hatte sie bisher über ihren Kummer sprechen können.
Es knackte im Unterholz, die beiden zuckten zusammen. Wieder sah sich Pastorius aufmerksam um.
»Sind das die Wilden?«, fragte Margaretha, ihr Herz pochte heftig.
»Nein, das glaube ich nicht. Ich habe gehört, dass sie sich nahezu lautlos bewegen können. Es wird ein Tier sein. Aber einem hungrigen Eber möchte ich auch nicht begegnen.« Wieder fasste er ihre Hand und zog sie eilig mit sich.
Als sie Dircks Hütte erreicht hatten, blieben sie stehen. Margaretha zögerte kurz, dann küsste sie Pastorius auf die Wange. »Gute Nacht, Franz Daniel.« Bevor er etwas sagen konnte, war sie schon in der Hütte verschwunden. Ihr Herz pochte, diesmal aber nicht vor Angst.
O je, dachte sie, ob ich zu weit gegangen bin? Doch dann schüttelte sie den Kopf, nun war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Sie zog sich aus und schlüpfte unter die Decke ihrer Bettstatt. Rebecca schlief schon tief und fest, und bald darauf war auch Margaretha eingeschlafen.
Kapitel 31
Am nächsten Morgen machte sich Margaretha schon in der Frühe auf, um nach dem Kind der Theißens zu sehen. Es fieberte und zeigte einen leichten Ausschlag, doch der Hals war nicht angeschwollen, und auch sonst zeigte sich kein Anzeichen von Schafshusten, so wie Margaretha es befürchtet hatte. Sie gab der Mutter einige Kräuter, wies sie an, Umschläge zu machen und einen Aufguss zu kochen.
Auch Jan Lucken schien es besser zu gehen, doch er war sehr schwach. Er braucht dringend kräftigende Nahrung, dachte Margaretha besorgt. Sein Gesicht ist ganz eingefallen.
Sie seufzte. »Könnt Ihr eine kräftige Brühe für Euren Mann kochen?«, fragte sie Mevrouw Lucken.
Diese schüttelte traurig den Kopf. »Wir haben fast nichts mehr, nur noch Erbsen und Bohnen, etwas Mehl und Speck.Es wird kaum bis zum Frühjahr reichen. Ich habe schon Eicheln zerstoßen und unter das Mehl gemischt.« Sie strich sich über die Schürze, sah sich unsicher um. »Letzte Woche hat Jan ein Kaninchen gefangen, doch diese Woche sind die Schlingen leer geblieben. Ich habe den Jungen zum Angeln an den Fluss geschickt, aber der ist zugefroren. Ich weiß nicht, wie wir den Winter überstehen sollen.«
»Wir werden alle zusammenlegen müssen.« Margaretha strich der Frau beruhigend über den Arm, dann nahm sie ihren Kräuterkorb und ging. Sie hatte noch nichts gegessen, ihr Magen knurrte hungrig. Bald schon erreichte sie Hermanns Hütte, schon von weitem war die laute Stimme Catharinas zu hören.
»Es ist ein Unding. Wir müssen hungern und darben, und nun sollen wir auch noch einen Wilden mit durchbringen? Das ist doch die Höhe. Er stinkt und hat keine
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