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Die Heilerin

Die Heilerin

Titel: Die Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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darüber. Die zarten Hände ihrer Mutter mit den schmalen Fingern, die normalerweise nie ruhten, immer beschäftigt waren, lagen nun kraftlos in ihren. Blaue Adern, dick wie Regenwürmer, zeigten sich unter der Haut, die fast durchscheinend wirkte. Margaretha strich mit dem Daumen über die Haut, drückte die Hand der Mutter. Siewusste nicht, was sie sagen, wie sie sich verhalten sollte. Sie fühlte sich hilflos, alles war ihr im Moment zu viel. Vermutlich ging es Gretje nicht anders. Ihr Schmerz war sicher tiefer als Margarethas.
    »Moedertje«, sagte sie leise. »Es ist schrecklich und grausam, und Eva hätte es verdient, weiter zu leben und ihre Fröhlichkeit zu verbreiten. Aber der Tod und das Leben gehen Hand in Hand, das hast du immer gesagt. Ich weiß, es macht dich traurig, es verbittert dich, aber uns geht es auch so. Eva war unser Sonnenschein, wir haben sie alle geliebt. Sie war unser besonderes Glück, und nun ist sie tot. Etwas, was kaum auszuhalten ist. Vater leidet.« Margaretha schluckte. »Vater leidet sehr, aber er versucht alles im Gange zu halten, uns zu sagen, was wir machen sollen. Annemieke ist weggelaufen. Wusstest du das schon? Vermutlich aus Furcht und Kummer. Wie muss es ihr gehen? Sie fühlt sich sicherlich grauenvoll schuldig.« Tränen stiegen wieder in ihre Augen.
    »Und ich muss nun alles irgendwie meistern. Essen kochen, ja, das kann ich. Die Wäsche werde ich auch hinbekommen, den Haushalt. Das werde ich alles schaffen. Aber uns fehlt deine Herzlichkeit und Wärme. Uns fehlt deine Anwesenheit. Eva hat dich geliebt und gebraucht, aber wir brauchen dich auch.« Nun rannen die Tränen über ihre Wangen. Margaretha fühlte sich schlecht. Sollte sie nicht in dieser düsteren Stunde stark sein? Sollte sie nicht die Rolle ihrer Mutter übernehmen? Sie konnte es nicht, nicht so wie Gretje.
    »Ich bin doch erst fünfzehn«, schluchzte sie verzweifelt. »Wie soll ich das alles schaffen? Wie soll ich die Nächte durchstehen, allein in meinem Zimmer, ohne Eva? Die Tage ohne ihr Lachen? Wie soll ich das schaffen? Und wie soll ich die Brüder ermuntern, so wie du es getan hast? Sie sind wie gelähmt und hilflos, genau wie ich. Vater versucht sein Bestes, aber auch er wird daran zerbrechen, wenn wir nicht nur Evale verloren haben, sondern auch noch dich.« Nun konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten, haltlos schluchzte sie, weinte,jammerte leise. Immer noch hielt sie die Hand ihrer Mutter. Endlich erwiderte diese den Druck. Überrascht sah Margaretha auf, wischte sich über die Augen und rieb sich die Tränen in die Wangen. Die Augen ihrer Mutter glitzerten. Gretje hatte den Kopf gewandt und sah Margaretha an. Sie sah ihr in die Augen und nicht nur durch sie hindurch.
    »Es tut mir leid«, krächzte sie, als hätte sie ihre Stimme monatelang nicht benutzt. »Ich weiß, es ist schwer für dich.«
    »Mutter …«
    Gretje nickte. »Ja, Kind.«
    »Willst du etwas Würzwein?« Margaretha stand unsicher auf. Sie hatte all ihren Kummer und ihre Sorgen geäußert, in der Annahme, dass Gretje sie gar nicht hörte. Nun schämte sie sich für ihre Schwäche.
    »Ja«, Gretje richtete sich zitternd auf. »Und auch von der Grütze. Dann kannst du mir das dunkle Wollkleid aus dem Kasten geben.«
    »Du wirst aufstehen? Mitkommen?« Fassungslos sah die Tochter ihre Mutter an.
    »Ich wollte nicht, und ich will immer noch nicht, aber deine Worte … ich weiß nicht, vielleicht war es wichtig, was du gesagt hast. Ich habe immer noch Kinder, auch wenn Eva … wenn sie …« Sie schluckte hart, schaffte es nicht, die Worte auszusprechen. »Ich habe noch weitere Kinder und muss für sie da sein. Das hast du mir begreiflich gemacht.«
    Margaretha reichte ihr den Würzwein, sah ihre Mutter gedankenvoll an. Viel ging ihr im Kopf um, kaum etwas davon konnte sie in Worte fassen. Sie öffnete die Truhe, suchte das Kleid heraus.
    »Ich möchte mich waschen«, bat Gretje leise. Es war ihr ebenso peinlich bitten zu müssen wie Margaretha.
    Schnell eilte das Mädchen, den Wasserkrug in den Händen, die Stiege hinab. In der Küche saßen die Brüder. Der Bestatter war gekommen, trank Dünnbier und biss herzhaft in das Brot, das er dick mit Butter und Schmalz bestrichen hatte.
    Margaretha füllte den Krug mit warmem Wasser.
    »Was ist mit Mutter?« Hermann fragte verzagt.
    »Ich helfe ihr beim Anziehen. Sie ist noch schwach.« Margaretha sah nicht zum Tisch, konnte die fragenden Blicke ihrer Brüder nicht ertragen.
    »Sie …

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