Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
blies seine Trompete. Und ein großer Stern, der wie eine Lampe brannte, fiel vom Himmel, und er fiel auf ein Drittel der Flüsse und auf die Wasserquellen. Und der vierte Engel blies seine Trompete. Und geschlagen wurde ein Drittel der Sonne und ein Drittel des Mondes und ein Drittel der Sterne, damit ein Drittel derselben verfinstert werde
. 34 Das wird euer Schicksal sein, wenn ihr nicht auf der Stelle dieser Maria und ihren Buhlschaften, dem Priester, dem Bürgermeister und dem Grafen abschwört!«
Die Unruhe wurde immer größer. Einige versuchten, den Mönch von seinem Podest zu reißen. Andere stemmten sich mit Gewalt dagegen, um dies zu verhindern. Die Rangeleien arteten fast in Schlägereien aus.
Plötzlich erscholl eine weibliche Stimme wenige Reihen vor den schockierten Beobachtern am Rathaus: »Mörder! Mörder!«
Die hohen Herren machten lange Hälse, um zu sehen, was dort geschehen war. Hatten sich die ersten Nachbarn gegenseitig umgebracht? So aufgeheizt, wie die Stimmung durch die Brandreden des Mönchs war, würde es niemanden wundern. Ludolf und sein Vater drängten sich durch die Menge, um zu sehen, wer da rief.
Die Frau im vorgerückten Alter war in zerlumpte, alte Sachen gekleidet und zeigte auf den Bettelmönch. Sie schrie wieder: »Mörder! Ich hab dich gesehen, wie du beim Gewitter aus Marias Haus kamst. Ich hab dich erkannt, du Mörder!«
Zum Glück achteten die Leute mehr auf den Mönch und seine Reden als auf die einsamen Zwischenrufe einer alten Frau.
Ludolf riss die Frau unsanft an der Schulter herum. »Was erzählt ihr da?«
»He, Bursche, was soll’n das?« Die Frau schubste ihn fort.
»Habt ihr das wirklich gesehen, was ihr da behauptet?«
»Willste mich etwa ’ne Lügnerin nennen? Dann fängste dir gleich eine ein.« Und erhob dabei ihre Rechte.
Ludolf hob abwehrend die Hände und entschuldigte sich. Er erklärte, wie wichtig ihre Aussage für die Klärung des Mordes an Kunibert Nachtigal sein könnte.
Die Frau richtete sich wichtigtuerisch auf. »Ich hab’s gesehn. Das Mönchlein stand bei mir unter’er Traufe, genau vorm Fenster, als er beim Gewitter Schutz suchte. Er hatte das Messer noch inner Hand. Damit hat’r den lieben Kunibert abgemurkst.«
»Ihr müsst sofort mitkommen, damit wir eure Beobachtung beim Bürgermeister aufnehmen können.«
»Beim Bürgermeister?« Die Frau bekam große Augen.
»Ja, genau.«
»Du meinst, ich hab was Wichtiges gesehen?«
»So ist es.« Ludolf wurde langsam ungeduldig. Er wollte so schnell wie möglich aus dieser brodelnden Menge heraus.
»Krieg ich auch ’ne Belohnung dafür?«
»Ich werde mich beim Bürgermeister dafür einsetzten. Aber das muss nun ganz schnell geschehen.«
»Is gut, mein Jungchen«, meinte sie nur noch und schob sich schon durch die Menschen in Richtung Rathaus. In ihrem Kielwasser folgten Ludolf und sein Vater.
Inzwischen war der Bettelmönch inmitten des Geschreis nicht mehr zu verstehen. Man sah nur noch, wie er gestenreich mit seinen Armen durch die Luft fuhr, und seinen weit geöffneten Mund. Überall brüllten Männer und kreischten Frauen durcheinander. Laute Schreie und Flüche erfüllten die Luft vor der Kirche. Nachbarn gifteten sich an und hassten sich plötzlich nach Jahren des friedlichen Nebeneinanders. Verwandte waren sich von einem Augenblick auf den nächsten spinnefeind geworden. Mittlerweile wälzten sich schon einige aus der wütenden Menge bei Schlägereien am Boden. Es war wahrlich ein Hexenkessel.
»Das endet noch in einer Katastrophe«, murmelte Jaspar Prutze.
Er und die anderen standen noch immer vor dem Rathaus und beobachteten wie gelähmt den Zusammenbruch einer ganzen Gesellschaftsordnung, ausgelöst durch die Hassreden eines einzelnen Predigers.
Plötzlich preschte etwa ein Dutzend Berittene in Rüstung und mit langen Lanzen aus Richtung des Ostertores auf den Kirchplatz. Sie ritten mitten in die kreischende Menge, sodass die Menschen panisch zur Seite wegsprangen, um nicht niedergetrampelt zu werden. Zum Glück hatten die Reiter ihre gefährlichen Waffen nur drohend nach vorn gerichtet und nicht zu tödlichen Stößen gesenkt. Doch dieses unerwartete Erscheinen der Soldaten brachte den Mob wieder zur Vernunft. Anstatt sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, stoben sie in alle Richtungen davon und brachten sich in Sicherheit.
»Das ist ja Konrad Silixen!«, rief der Bürgermeister. »Aber die anderen Männer kenne ich nicht. Die gehören nicht zum gräflichen
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