Die Heimkehr des Highlanders
sich nicht getäuscht, jeden Tag holten die Rotjacken einen der Gefangenen, um ihn zu verhören. Einige von ihnen überlebten die Tortur nicht, anderen wiederum wurde kein Härchen gekrümmt.
Von diesen Männern sonderten sich die anderen ab, denn sie vermuteten, dass sie mit den Engländern kooperierten und ihre Lairds sowie militärische Geheimnisse verrieten, um mit heiler Haut davonzukommen. Obwohl diese Männer schworen, keinen Ton davon erwähnt zu haben, glaubten die anderen ihnen nicht und behandelten die ›Verräter‹ wie Geächtete.
Auch Ewan war sich bewusst, dass man ihn holen würde, früher oder später. Doch er würde bei der Geschichte mit dem verlorenen Gedächtnis bleiben und einen falschen Namen nennen.
Innerlich wappnete er sich für den schweren Tag, den er vielleicht nicht überleben würde – obwohl er noch nicht einmal lügen würde, wenn er behauptete, dass er nicht wüsste, ob er an der Schlacht überhaupt teilgenommen hatte. Doch vermutlich würden die Sasannach ihm nicht glauben und ihn quälen oder direkt zum Galgen führen. Immerhin würde er so sterben, wie es sich für einen stolzen Krieger aus den Highlands gehörte.
Sie führten ihn schließlich aus dem Verlies, als er nicht damit gerechnet hatte – in einem Augenblick im Morgengrauen, als er von Joan träumte.
Er spürte einen Stiefeltritt gegen die Rippen und schlug entsetzt die Augen auf. Über ihm stand breitbeinig ein Soldat und bellte: »Aufstehen und mitkommen! Der Colonel hat nicht den ganzen Tag Zeit, um auf Leute zu warten, denen der liebe Herrgott den Tag stiehlt!«
Mühsam erhob sich Ewan, um ein Haar hätte er geantwortet, dass er wohl längst bei der täglichen Arbeit wäre, wenn man ihm nicht die Freiheit geraubt hätte.
Dunkel erinnerte er sich an die Tage im Kerker von Fort George, als die Wächter ihn durch endlose Kellergewölbe stießen. Damals war man ebenso grob mit ihm umgegangen.
Von den Mitgefangenen hatte Ewan bereits erfahren, dass der Raum, in dem die Männer verhört wurden, im Gefängnistrakt untergebracht war, sodass die Aussicht für eine Flucht bei Null lag.
Trotzdem hielt Ewan die Augen offen, sah sich unauffällig um, aber zu seiner Enttäuschung gab es nur einige verzweigte Nebengänge, jedoch keine Tür, die möglicherweise nach außen führen konnte – und wenn es eine gegeben hätte, würde sie streng bewacht sein.
Der Raum, in den man ihn führte, war nicht besonders groß, jedoch sauber. Ein einfacher Holztisch stand in der Mitte, an dem ein Soldat mit ausdrucksloser Miene vor einem Bogen Papier saß, Tintenfass und Feder griffbereit neben sich.
Anders als der Rest des Gewölbes wurde der Raum von mehreren Fackeln erhellt, auf dem Tisch des Protokollführers flackerte außerdem eine Kerze.
Ewan musste einige Sekunden die Augen zukneifen, bis er sich an die ungewohnte Helligkeit gewöhnt hatte. Erst dann entdeckte er den hochgewachsenen Offizier neben dem Tisch, der Ewan aufmerksam musterte, die Hände lässig auf dem Rücken verschränkt.
Niemand sagte etwas, auch nicht die beiden Soldaten, die Ewan zum Verhör gebracht hatten, doch er konnte ihre Blicke in seinem Rücken förmlich spüren. Sie schienen die Tür zu bewachen.
Flüchtig blickte Ewan an sich herunter und erschrak aufs Tiefste. Seine nackten Beine und Füße starrten vor Schmutz und waren mit Flohstichen übersät, die einfache Leinenhose war zerrissen.
»Wer seid Ihr?«, drang die Stimme des Offiziers an Ewans Ohr. »Nennt mir Euren Namen und Clanzugehörigkeit.«
Vorsichtig blickte Ewan auf; im Gegensatz zu den anderen Rotjacken war die Miene des Kommandanten nicht hassverzerrt, sondern neutral mit einer Prise ehrlicher Neugierde.
»Nun?« Der Offizier klang eine Spur schärfer. »Wenn Ihr nicht reden wollt … es gibt eine überzeugende Methode, Euch dazu zu bringen. Wenn meine Männer mit Euch fertig sind, werdet Ihr singen wie ein Vöglein.«
Ewan streckte sich zu seiner vollen Größe und blickte dem Engländer gerade ins Gesicht. »Ich wüsste selbst gerne, wer ich bin, Sir. Bei der Schlacht muss ich mein Gedächtnis verloren haben, ich erwachte irgendwo in den Wäldern mit einer dicken Beule am Hinterkopf; ich kann mich an nichts mehr erinnern, was nach 1732 geschehen ist.«
»Soso, seit 1732.« Der Soldat lächelte spöttisch. »Eines muss man euch Schotten lassen, ihr habt viel Fantasie. Jeder zweite Gefangene hat das Gedächtnis verloren, aber – welch Wunder – sich sehr rasch wieder erinnert,
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