Die heimliche Braut
Betriebsamkeit und lautes Stimmengewirr, als seien die Männer gerade dabei, ihre Zelte abzubrechen. Ganz offensichtlich hatte der Kastellan sich nicht geirrt. D’Anglevoix sah endlich ein, dass seine Cousine nicht die Gemahlin des Burgherrn zu Dunkeathe werden würde. Folglich hatte er wohl den Abmarsch befohlen.
Zwar musste Nicholas mehrmals bei den Leuten des Herzogs nachfragen, doch schließlich fand er den offenkundig vergrätzten Edelmann in einem der Zelte, wo er gerade einen abgehetzt wirkenden Untergebenen anherrschte. Als D’Anglevoix den Burgherrn erblickte, verzog er grimmig das Gesicht und befahl dem Mann, er solle sich darum kümmern, dass alles zum Abmarsch bereitgemacht werde.
“Ihr habt vor, Dunkeathe zu verlassen, Mylord?”, erkundigte sich Nicholas, wobei er den Unwissenden spielte und die düstere Miene seines Gegenübers bewusst ignorierte.
“Ich sehe keinen Grund zum Bleiben, denn es liegt auf der Hand, dass Ihr an Lavinia kein ehrenhaftes Interesse habt.”
Andererseits aber auch kein unehrenhaftes! Für einen Augenblick geriet Nicholas schon in Harnisch, bis er sich mahnend daran erinnerte, dass es vermutlich unklug sein würde, sich D’Anglevoix unnötigerweise zum Feind zu machen.
“Ich muss gestehen, Mylord”, sagte er deshalb, wobei er das Wort “Ehre” bewusst ausließ, “dass ich zum selben Schluss gelangt bin. Jedoch bin ich davon überzeugt, dass auch sie ihrerseits an mir kein Interesse hat. Ich fürchte, ich bin Eurer wohlerzogenen Cousine zu sehr Soldat.”
Ungnädig musterte der Herzog Nicholas, wobei er die Hakennase hob. “Dann sind wir uns also einig. Deshalb werden wir nicht länger verweilen in dieser … dieser
Wildnis!
Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Sir Nicholas”, fuhr er fort, und zwar in einem Ton, als hätte er gern hinzugefügt:
Was Ihr darunter versteht!
“Ich wünsche Euch Glück für Euer Dasein inmitten dieser Wilden!”
Nicholas quittierte den sarkastischen Glückwunsch mit einem geneigten Kopfnicken. Dann sagte er: “Ich glaube, Audric wird’s bedauern, dass Ihr abreist.”
Die Augen des Normannen zogen sich zusammen. “Audric? Was hat der mit mir zu schaffen?”
“Mit Euch persönlich wohl nicht allzu viel. Eure liebreizende Cousine hingegen – das ist schon etwas anderes!”
“Lavinia?”, fragte D’Anglevoix, das düstere Gesicht in tiefe Falten gelegt.
Nicholas sparte sich die Frage, wer denn wohl sonst gemeint sein könnte. “Mir scheint, Audric fühlt sich zu Lady Lavinia hingezogen. Er lächelt ihr häufig zu, und wenn sie auch zu bescheiden ist, um darauf in anderer als der höchst damenhaften, gesitteten Weise zu reagieren, so lässt sich doch nicht übersehen, dass ihr seine Zuneigung nicht unangenehm erscheint. Ich gestatte mir den Hinweis, dass ich diese Verbindung tunlichst fördern würde. Audrics Onkel ist ein sehr gewichtiger und geachteter Abt mit engen Verbindungen nach Rom. Die übrige Familie ist politisch einflussreich. Erst unlängst hat der junge Mann mir erzählt, sein Schwager habe eine Handelsunion mit etlichen reichen Händlern in London vereinbart, durch welche die Familie an Vermögen zulegen könnte. Ich glaube, da könnte Lavinia kaum eine bessere Partie machen, zumal die zwei bereits einander zugeneigt sind.”
Es hatte den Anschein, als sei der Duc bereits in Gedanken beim Geldzählen. “Vielleicht sollte ich vor der Abreise noch mit Audric reden”, sagte er, den Blick weiterhin auf Nicholas gerichtet.
“Ich an Eurer Stelle würde das tun”, bekräftigte der. “Offenbar ist er ein ausgezeichneter junger Mann, und wenn Ihr ihn nicht an Lavinia bindet, dann schnappt ihn sich womöglich eine andere schlaue, wenn auch weniger ranghohe Dame weg!”
“Wie diese Jos…” D’Anglevoix konnte sich gerade noch bremsen. “Ja, ja, wie Ihr schon sagt, sollte ich eine Ehe zwischen meiner Cousine und Audric durchaus einmal ins Auge fassen. Ich werde sogleich mit ihr sprechen.”
“Es steht Euch frei, so lange auf meiner Burg zu bleiben, wie Ihr wollt. Ein Verlobungsvertrag kann einige Zeit in Anspruch nehmen!”
Zwar würde Robert über diesen verlängerten Aufenthalt nicht begeistert sein, aber die zusätzlichen Ausgaben waren den Aufwand wert, falls man sich damit nicht nur D’Anglevoix verpflichtete, sondern auch Audric.
Wie zum Beweis verzog sich das Gesicht des Normannen zu einem ehrlich erfreuten Lächeln – für Nicholas zum ersten Male überhaupt. “Ich wusste ja gar nicht, dass
Weitere Kostenlose Bücher