Die heimliche Braut
Königshof verzichtete Nicholas auf den Hinweis, dass es wohl nicht einfach nur am Beten liegen konnte, wenn der Herrgott ihn tatsächlich einer Belohnung für würdig erachtet hatte. Vielmehr hatte er sie sich verdient, und zwar durch harte Arbeit, Opfer und die Bereitschaft, Blut zu vergießen, sowohl sein eigenes als auch das anderer Männer.
Ehe er jedoch etwas äußern konnte, was er womöglich später bereut hätte, kehrte Lady Joscelind zurück. Sie hatte noch etwas mehr Parfüm aufgelegt, dafür aber den Silberreif sowie das blaue Schultertuch, die sie während des Abendessens getragen hatte, in ihrer Kammer gelassen. Ihre glänzend blonden Zöpfe fielen hinab bis über die Taille und waren mit Silberspangen befestigt.
“Ich wollte es mir ein wenig luftiger machen für den Tanz”, erklärte sie mit liebreizendem Lächeln, als wolle sie Nicholas’ unausgesprochene Frage beantworten. Höflich geleitete er sie auf die Tanzfläche, wo man sich mit den anderen Gästen im Kreis zum Reigen aufstellte.
Sir George, der neben seiner Tochter wartete, schwankte und konnte sich nur mit Mühe gerade halten. Der Graf von Eglinburg machte den Eindruck, als leide er an Verstopfung, während seine Tochter neben Sir James of Keswick geradezu zwergenhaft erschien. Unbemerkt von ihrem Verwandten D’Anglevoix, schenkte Lady Lavinia Audric ein scheues Lächeln.
Da bahnt sich eine interessante Entwicklung an! dachte Nicholas, als der Tamburinspieler einen beschwingten Rhythmus zu schlagen begann. Vielleicht, so Nicholas insgeheim, brauchst du dich doch nicht so diplomatisch auszudrücken, wenn du Lady Lavinia und dem Comte eröffnen musst, dass sie nicht in die engere Wahl kommt!
“Ich bin über die Maßen erfreut, dass Ihr dem Vorschlag zum Tanze zugestimmt habt, Mylord”, sagte Lady Joscelind leise, während sie vor ihm einen Wechselschritt von links nach rechts vollführte. Ihre Bewegungen verrieten Nicholas auch, warum ihr Vater den Reigen angeregt hatte. Seine Tochter, so schien es, war eine vollendete Tänzerin, elegant und anmutig zugleich.
“Wenn ich Euch einen Gefallen erweisen kann, Mylady, so tu ich dies mit Vergnügen”, erwiderte er.
Für einen Wimpernschlag hob sie den Blick, senkte aber gleich wieder die Augen, als hätte sie ihren Tanzpartner bloß aus einem kühnen und unwiderstehlichen Impuls heraus angesehen, für den sie sich schämen musste.
Er war überzeugt, dass dies auf Grünschnäbel und junge Ritter seine Wirkung nicht verfehlte. Zu beiden aber gehörte er nicht. Diesen scheuen Augenaufschlag hatte er viele Male gesehen, und zwar bei den unterschiedlichsten Frauen. Bei ihm verfing er deshalb nicht sonderlich.
Die Paare drehten sich um die eigene Achse, hoben jeweils diejenige Hand, welche dem Partner oder der Partnerin nach der Drehung am nächsten kam, und schritten dann, die Handflächen aneinander gelegt, zum Takt der Musik durch den Saal. Dann folgten eine weitere Drehung sowie einige Schritte auf der Stelle.
Lady Riona, so ging es Nicholas durch den Kopf, war weder schüchtern noch tat sie so. Für selbstbewusste Frauen hatte er immer schon ein Faible gehabt. Aber wie er bereits seinem Bruder vor dessen Abreise gesagt hatte, lagen die Umstände nun einmal anders. Ungeachtet des Sehnens, welches Riona in ihm hervorrief, hätte er sie niemals in seine Kemenate einladen dürfen. Noch immer war es ihm ein Rätsel, wieso er schwach geworden und in einem Anfall von Torheit der Versuchung erlegen war, die Schottin zu küssen.
Doch plötzlich wurde ihm der Grund klar! Von allen Frauen, denen er bislang begegnet war, ließ einzig sie ihn in ihrer Gegenwart alles andere vergessen. Nur sie entfachte jene nicht zu fassende, nicht zu leugnende Leidenschaft, so dass er dem Drang, sie zu küssen, nicht widerstehen konnte. Leider aber war sie auch aus dem Kreise jener Schönen, welche als Brautbewerberinnen nach Dunkeathe gekommen waren, die untauglichste Kandidatin.
“Habe ich Euch gekränkt, Mylord?”, fragte Lady Joscelind, die alabasterweiße Stirn in Sorgenfalten gelegt.
“Nein.”
“Dann grübelt Ihr wohl über ernste Angelegenheiten nach?”
Nicholas schalt sich einen Esel, dass er sich seine Zerstreutheit hatte anmerken lassen. Mit Lady Joscelind hatte genau eine der sehnlich erhofften Kandidatinnen den Weg nach Dunkeathe gefunden, und nun kümmerte er sich nicht einmal richtig um sie! “Ich bitte um Nachsicht!”, bat er mit einer knappen Verbeugung, als sie sich abermals drehten.
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