Die heimliche Gemahlin
wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus, bevor Mylady mich so rüde unterbrochen hat. Ich habe nämlich kein Wort darüber entdecken können, dass eine junge Dame sich nicht in einer Taverne im Kreise hartgesottener Schmuggler betrinken sollte. Hast du dich deshalb dazu verleiten lassen, weil es hierzu bei Mrs. Nunley keinerlei Anweisungen dafür gab?“
Jetzt wurde sie doch ärgerlich. „Ich bin lediglich in eine Rolle geschlüpft“, verteidigte sie sich. „Um dir zu helfen. Und es steht etwas über das Trinken im Buch, wenn du es genau wissen willst. Auf Seite zweiundzwanzig heißt es: ,Die wohlerzogene junge Dame trinkt stets äußerst mäßig. Ich bin mir meiner Dummheit und Verfehlung der letzten Nacht durchaus bewusst, falls es dich interessiert.“
Er lächelte ihr spitzbübisch zu. „Ich finde dich amüsant, wenn du zu viel getrunken hast.“
Böse guckte sie ihn an. „Eben deshalb rät das Buch, nicht der Trunksucht anheim zu fallen.“
„Wenn du mich fragst, meine Liebe, gibt es zu viele Benimmregeln in deinem Leben. Andernfalls würdest du dich nicht dauernd versucht fühlen, sie zu brechen. Manchmal sollte sich auch eine wohlerzogene junge Dame ein bisschen vergnügen.“
„Mrs. Nunley würde das nicht gutheißen“, widersprach sie trocken.
„Dann zum Teufel mit ihr!“ Er fuchtelte mit dem Buch herum. „Das ist doch alles nur schrecklicher Unfug. Einer Frau vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu führen hat. Völliger Blödsinn! Niemand hat das Recht, jemand anderem zu sagen, was er zu tun und zu lassen hat. Und du darfst dir das auch keinesfalls gefallen lassen.“
„Du hast leicht reden.“ Sie richtete sich stolz zur vollen Größe auf und nahm die Schultern zurück, aber auf ihrem Gesicht spiegelten sich Zweifel und Verwirrung wider. „Niemand erwartet von dir, dass du dich an die gesellschaftlichen Spielregeln hältst.“
„Weil ich ein Tunichtgut und noch dazu der Sohn eines Diebes bin?“ fragte er.
„Nein. Du bist ein Mann.“ Sie wandte den Blick nicht vom Rücken des Pferdes, aber in ihren Augen schien Bitterkeit aufzuleuchten. „Dir ist es gestattet, wilde Abenteuer zu erleben. Niemand bestraft dich, wenn du dich ... vergnügst. Bei einer Frau ist das etwas ganz anderes. Entweder hält sie sich an die Regeln, oder sie wird von ihrer Familie und der Gesellschaft verstoßen. Ihr Leben ist damit beendet.“
„Du warst doch ohnehin der Ansicht, du hättest sowieso keine Zukunft“, erwiderte er.
„Nun ... ja ...ich ...“
„Wenn du ab morgen der Liebling des ton wärest, müsstest du dich erst recht an all deren Regeln und Vorschriften halten. Du wärst eine Gefangene. Was hat Mrs. Nunley dir denn eingebracht? Bist du etwa glücklich? Erwachst du am Morgen und bist froh, am Leben zu sein? Glaubst du, jeder neue Tag birgt unzählige Möglichkeiten? Es ist ja hübsch, sich an Regeln zu halten, wenn es einen glücklich macht, aber wenn sie einem nur im Weg sind ..."
„Und was ist mit dir, Daniel?“ unterbrach sie ihn. „Findest du dein Glück darin, gegen alle Regeln zu verstoßen? Wohnst du gern im St. Giles, wo die Leute dich eigentlich nicht wirklich kennen und verstehen? Oder macht es dir besondere Freude, für Männer zu arbeiten, die dich wegen deiner Herkunft ablehnen, obwohl du weit klüger bist als sie?“ Ihre Stimme zitterte. „Gefällt es dir, mit leichten Mädchen ins Bett zu gehen, die nur dein Geld wollen?“
„Verdammt, du hast doch gar keine Ahnung“, entgegnete er wütend.
Aber er war ihr eigentlich gar nicht böse. Für eine Frau, die sich kaum in der Welt auskannte, besaß sie eine ausgezeichnete Menschenkenntnis. Zum Teufel, warum musste ausgerechnet sie ihn durchschauen?
Das Gig fuhr an Hecken und Weiden vorbei, Wildgänse zogen über Daniel und Helena hinweg, irgendwo blökten Schafe. Doch Daniel nahm nichts davon wahr. Ständig musste er an Helenas Worte denken.
Zugegeben, vielleicht war er in letzter Zeit nicht besonders glücklich gewesen. Möglicherweise war er oft einsam. Doch dagegen konnte er nichts tun. Weder passte er zu Clancy und dessen Kumpanen, noch gehörte er in Griffiths Welt. Zwar fühlte Daniel sich in der Gesellschaft seines Freundes wohl, aber der war nun verheiratet und verbrachte seine Zeit jetzt mit Rosalind und sicherlich bald auch mit den Kindern, die die beiden bestimmt haben würden.
Selbst Griffith war es nie gelungen, Daniel aus seiner Einsamkeit zu reißen. Auch den Huren war dies nie gelungen. Der einzige
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