Die heimliche Lust
Achtung der Frau; sie empfanden sichtlich nicht in derselben Weise, daß ihre Frauen durch ihre außerehelichen Beziehungen in Mitleidenschaft gezogen wurden...«
Weil Frauen Offenheit und Ehrlichkeit als Maßstab von Nähe und moralischem Anstand begreifen, scheinen sie »ein größeres Bedürfnis nach einem Geständnis zu verspüren« — faktisch ein Maßstab ihrer Liebe. Gleichzeitig werden sie »durch die größeren Risiken eines Geständnisses gebremst«: daß der Mann das Gesicht verlieren und in der Folge gewalttätig werden, sie verlassen oder die Ehe beenden könnte — mit den zusätzlichen Risiken von finanzieller Unsicherheit und Sorgerechtsstreitigkeiten — , Risiken, die nicht im gleichen Maß für den ehebrechenden Mann bestehen, der sich entschließt, seiner Frau zu beichten.
Die Wahrheit ist, daß eine Frau, die sich dazu durchringt, ihrem Mann um der Beziehung willen die Wahrheit zu sagen, oft erleben muß, daß diese Beziehung damit zu Ende ist. Das Geständnis, heute Gebot der Moral, ist auch die Handlungsweise, die sich statistisch gesehen für Frauen als die ruinöseste erweist. Für die Frau, die gesteht, ist Scheidung, nicht Versöhnung das wahrscheinlichste Resultat: Pepper Schwartz und Philip Blumstein, die beiden Autoren von American Couples, stellten »eine hohe Korrelation mit Trennung« fest, wenn Frauen ihre Männer über ihre Seitensprünge aufklärten. Dieses Ergebnis wurde von Fred Humphrey und Annette Lawson bestätigt. Das gilt sogar für Paare, die sich in Therapie begeben. Vielleicht als Folge davon konstatierte Humphrey, daß am Ende ihrer gemeinsamen Therapiesitzungen jede siebte Frau ihren Seitensprung nicht offenbart hatte; dagegen verschwieg nur jeder sechzehnte Mann den seinen.
Von den Hunderten von Frauen, mit denen ich im Laufe der Jahre gesprochen habe, entschieden sich sehr wenige zu einem Geständnis — und auch dann gewöhnlich nur, wenn sie ihre Ehen beenden wollten. Die es taten, berichten über Verrücktheiten der Art, wie sie uns inzwischen vertraut sind: Ein Mann verfolgte seine Frau mit einer Schußwaffe durch die Straßen und rief jedem in Hörweite befindlichen Nachbarn zu: »Meine Frau ist eine Hure !« Ein Mann rammte mit seinem Wagen das Auto seiner Frau und verwandelte es, wie sie berichtet, »in einen Schrotthaufen, nachdem er unser Bankkonto abgeräumt und unsere Versicherungspolicen gekündigt hatte«. Ein anderer warf die Kleider seiner Frau aus dem Fenster ihrer Chicagoer Wohnung im zehnten Stock. Manche Ehemänner entführten die gemeinsamen Kinder. Die Geschichten von physischen und psychischen Mißhandlungen der Frauen durch ihre Ehemänner können ziemlich bizarr ausfallen und schließen Mord- und Selbstmorddrohungen ein. Die Scheidung — wenn es zur Scheidung kommt, und das ist oft der Fall — ist noch grauenhafter. Die ehebrecherische Frau ist gebrandmarkt, im Scheidungsprozeß wird sie stigmatisiert. Margaret Atwood brachte es auf den Punkt, als sie Frauen fragte, was sie vom anderen Geschlecht am meisten fürchteten, und die Antwort erhielt: daß ein Mann sie umbringt. Männer antworteten auf die gleiche Frage: daß eine Frau sie auslacht.
Zurück zum eisernen Gehäuse
Die doppelte Botschaft unserer Kultur — sag es ihm, wenn du wahrhaftig sein willst; sag es ihm nicht, wenn du rücksichtsvoll sein (und verheiratet bleiben) willst — stellt eine Frau vor Alternativen, die an die Zwickmühle erinnern, in der sie sich vor ihrem Seitensprung in ihrer Ehe befand: Sei du selbst, wenn du wahrhaftig sein willst (und verliere eine Beziehung), sei selbstlos, wenn du anständig sein (und verheiratet bleiben) willst. Und genauso, wie sie es damals unmöglich fand, gleichzeitig sie selbst und nach diesen Begriffen tugendhaft zu sein, ist sie jetzt erneut und auf komplizierte Art mit der alten Problematik des anständigen bzw. des unanständigen Mädchens konfrontiert: Ist das Geständnis ein lobenswerter Versuch, die Vertrautheit zu erneuern, oder ein grausames Abladen von Schuldgefühlen und eine unnötige Bestrafung? Ist es selbstloser, es ihm zu sagen, oder egoistischer? Ist es rücksichtsvoller oder rücksichtsloser? Was ist besser für ihn und für ihre Ehe? Und deshalb nimmt die frühere Frage, »Was tut eine anständige Frau ?« , die schwierige Form an: »Was tut eine unanständige Frau, um wieder anständig zu werden?«
Merken Sie, wo wir sind? Wir sind wieder im Gehäuse der Betrachtungsweise, wo »richtig« und »falsch« und
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