Die heimliche Lust
andere eigene Wünsche und Gefühle. So exhibitionistisch das alles scheinen mochte, es ermöglichte uns, über all das zu reden, was wir wirklich taten und fühlten. Ich hasse es, das alles wieder geheimzuhalten.
Aber sie erzählte es Martin nicht. »Die Realität siegte über die Moral«, meint sie. June kam nach langem Überlegen zu einem ähnlichen Schluß. Ihr Mann und sie, meinte sie, seien »beide bloß Sterbliche«, und Sterbliche »haben eine begrenzte Toleranz gegenüber Dingen, die man eigentlich nicht hören möchte«. Es sei vielleicht richtig, fand sie, es dem Mann zu sagen, wenn man beschließe, die Affäre aufzugeben. Aber im anderen Fall
wird man doch nicht damit herausrücken, weil man sonst mit der Forderung konfrontiert wird, die Sache zu beenden. Welche Frau wird zu ihrem Mann sagen: »Ich habe etwas gefunden, was mich sehr glücklich macht, und ich werde nichts daran ändern, auch wenn es dir nicht gefällt ?« Wenn ein Geständnis überhaupt in Frage kommt, dann doch, weil man das Gefühl hat, irgend etwas müsse geschehen, irgendeine Veränderung des Status quo, und dann muß man auch wirklich bereit sein, seine Affäre zu beenden — oder seine Ehe. Man wird keine Erlaubnis bekommen, beides zu behalten, soviel ist sicher.
Jenny kam zu dem Schluß, daß ihr Verhältnis, obwohl es fast zwei Jahre gedauert hatte, schließlich doch nicht mehr als ein Ausrutscher, eine Eskapade, ein Aussetzen der Vernunft gewesen sei, etwas, das sie mit »dem Wendepunkt des dreißigsten Geburtstags« in Verbindung brachte. Diesen Zeitpunkt definierte sie für sich als Beginn der Dekade, in der sie »wirklich etwas aus sich würde machen müssen«. Sie hatte eine Affäre mit einem gleichaltrigen Mann gehabt, der bereits etwas aus sich gemacht hatte, und zwar auf ihrem eigenen Gebiet, und den sie auch durch ihre Arbeit kennengelernt hatte. Sie hatte in diesen Jahren, wie sie sagte, »ein Doppelleben« geführt, und obwohl ihr die Affäre großes Vergnügen gemacht hatte, empfand sie schließlich ein überwältigendes Bedürfnis, ihr Leben wieder zu integrieren, »alles, was sie brauchte«, von einem Mann zu bekommen, statt von zweien, und deshalb sagte sie ihrem Mann
einfach alles. Daß ich es getan hätte, daß es falsch sei, unserer Ehe abträglich. Was mich dazu getrieben habe, wisse ich nicht, aber ich hätte das Gefühl gehabt, das zu brauchen. Es sei jedoch nicht die Art und Weise, wie ich leben wollte, und es sei insgesamt unglaublich egoistisch von mir gewesen.
Danach fragte ihr Mann sie sehr eindringlich aus,
fast obsessiv, wie mir schien. Er wollte wissen, wo wir hingingen, was wir sexuell miteinander machten und wo — im Bett? Im Bad? Und in welchen... Stellungen? Er konnte einfach nicht aufhören mit den Fragen. Und ich beantwortete alle seine Fragen, als händigte ich ihm meine Erlebnisse aus. Er forderte sie, als sei das sein Recht. Die Sache ist bloß die, er fragte immer weiter, und die Situation zwischen uns war grauenhaft.
Der Preis des Gestehens
Anfangs brüllte und schrie er einfach. Er stand mitten in der Nacht auf, ging aus dem Haus und kam zwei Tage lang nicht mehr heim. Mitten beim Abendessen warf er mit etwas um sich, einer Lampe, einem Teller, einem Schuh. Er redete wochenlang nicht mehr mit ihr. Wenn er sich ihr sexuell näherte, »sehr grob«, hatte sie das Gefühl, »ihn nicht abweisen zu dürfen«. Aber sie war außerstande, mit ihm zum Orgasmus zu kommen, und entwickelte schließlich einen Horror vor Sex. »Das war keine Liebe; ich fühlte mich wie eine Gefangene, eine Kriegsgefangene — jemand, den mein Mann haßte, aber über den er Macht hatte. Offenbar meinte er, ich müsse alles das ertragen, um ihm gegenüber alles wieder gutzumachen, während er das Recht habe, mich zu hassen und schlecht zu behandeln, egal, welche Versuche ich unternahm, um die Dinge zu bessern. Ich dachte, das würde ewig so weitergehen .«
Jennys Bemühung, durch totale Ehrlichkeit emotionale und sexuelle Ausschließlichkeit wiederherzustellen, war in ihren Augen ein erneuter Versuch, ihre Ehe zu etwas zu machen, was sie offenbar auch vorher nicht gewesen war: sie sollte alles für sie sein. Aber was sie entdeckte war, daß sie Ehrlichkeit als ein Mittel benutzte, um eine Neuauflage des Märchens zu erreichen, des Ideals vom »ewigen Glück«, daß sie sich erneut als Kandidatin um die Wahl zur vorbildlichen Ehefrau bewarb. Wie Jenny es formulierte:
Was ich mir einredete war: »Wenn wir es so
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