Die heimliche Lust
wieder zu verlieren. Jede der folgenden Frauen spricht über die Notwendigkeit, etwas zu »beschützen«.
Leslie sagt:
Ich habe wirklich das Gefühl, ein Recht auf dieses Glück zu haben. Ich empfinde das Bedürfnis, dieses gute Etwas zu beschützen, das jetzt in mir ist. Irgendwie werde ich das behalten.
Die sechsundfünfzigjährige Dina:
Ich achte jetzt mehr darauf, was mir zu schützen wichtig ist; ich lasse nicht zu, daß es wieder untergeht. Ich habe immer so eine Art zu sagen: »Ich werde dieses Jahr etwas tun, was bloß für mich ist. Ich werde Ski fahren gehen, auch wenn das sonst niemand will. Ich werde es allein tun .« Aber wenn es die Familie dann nicht praktisch für mich organisiert, dann tue ich es nicht. Ich habe das Gefühl, ich warte nicht nur auf Zustimmung zu meinen Plänen, sondern auch noch auf das Flugticket. Die Folge ist natürlich, daß ich seit zehn Jahren nicht mehr Ski gefahren bin. Jetzt merke ich es aber wenigstens, wenn ich diese komplizierte Selbstsabotage betreibe. In Zukunft werde ich sagen: »Ich gehe in der ersten Januarwoche zum Skifahren; hat irgend jemand etwas dagegen ?« Und dann werde ich die Reise buchen, bevor Einwände auftauchen.
Die fünfundvierzigjährige Annette:
Meine psychischen Grenzen zu wahren erscheint mir ähnlich, wie mein Immunsystem zu schützen. Tatsächlich bekomme ich neuerdings Herpes auf der Lippe, wenn ich mich überrollt fühle, und habe prompt depressive Anwandlungen. Es kommt mir vor, als würde so etwas wie der imaginäre Zaun um mich niedergetrampelt und ich hätte nicht die Energie, ihn wieder aufzurichten. Ich muß also wirklich lernen, mich selbst zu schützen.
Manche Frauen empfanden nicht länger das Bedürfnis, sich zu schützen; sie wußten, daß die Veränderung in ihnen unwiderruflich war.
Paula:
All diese Gebote, von denen mein Tag erfüllt war — ich sollte zu Hause sein, um zu kochen, aber gleichzeitig sollte ich länger im Büro bleiben; aber ich sollte auch mein Kind mehr sehen, und ich habe noch keine Anrufe gemacht, und ich sollte... nun, ich fühle mich von ihnen nicht mehr angeschrien. Sie tauchen noch auf, aber nicht oft. Und nicht mehr so laut.
Sexualität ohne Stummheit
Sexuelle Empfindungen ließen diese Frauen nicht mehr verstummen. »Ich habe angefangen, meine Sexualität zu lieben«, erzählt mir eine fünfundsechzigjährige Frau namens Roberta, »wirklich keinen Augenblick zu früh .«
»Ich empfinde es als so köstlich, wie mein Körper mit Farben und Gefühlen erfüllt ist«, sagt die vierundfünfzigjährige Belinda, wenn sie »am Rand des Abgrunds« ist, in den sie beim Orgasmus stürzt. »Und dann, während ich am Rand dieses Abgrunds schwanke und taumle, verändern sich die Farben. Ich weiß, wann ich zu fallen beginne, die Kontrolle völlig verliere, wenn sich die orangen, feurigen Töne in Grün und Blau verwandeln wie der Nachthimmel im Dezember.
Wenn der Orgasmus einsetzt und ich alles loslasse, wenn das Bewußtsein, die Kontrolle aussetzen, dann folgen auf die Farben Laute. Ich komme mir vor wie in einem Sound-Studio; es ist dunkel, man kann aber jeden Ton hören. Während ich mich in diesen nicht mehr bewußten Ort verströme, übernimmt mein Körper die Führung, und meine Stimme bricht aus mir heraus. Sie ist nicht kontrolliert, sie ist wie eine Flut .«
»Wenn man weiß, wie, kann man auf diesem Gefühl reiten«, sagt Belinda, »auf diesem blauen Gefühl, und man kann die Welle erwischen .«
Farben kennzeichnen sexuelle Empfindungen auch für die sechsundvierzigjährige Ellie; manchmal trägt sie der Orgasmus »in ein warmes Meer von blauem, seidigem Öl, ein Blau wie das der Karibik; ein anderes Mal sehe ich Raketen mit orange und gelb sprühenden Funken. Ich habe das Gefühl, emporzuschießen. Da sind rote Raketen am Himmel wie beim großen Finale eines Feuerwerks, ein wunderbares und lang anhaltendes Schauspiel. Ich habe gelernt — nein, mein Geliebter hat es mir beigebracht — , wie ich diesen Höhenflug verlängern kann; was nötig ist, um dieses Gefühl zu steuern — ich habe gelernt, auf diesem Gefühl zu reiten.«
»Ich gelange in diese absolute physische Sphäre, die so tief ist«, sagt die dreißigjährige Rina, »daß ich dort meinen Verstand verliere, ihn loslasse und mein ganzer Körper von Gefühlen widerhallt. Das hat etwas Verzweifeltes, Pulsierendes. Ich empfinde diese tiefe Wollust, das Blut strömt mir durch die Adern, mir scheinen sich die Nackenhaare zu sträuben, es
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