Die heimliche Lust
werde wieder »nett«. Es ist grauenhaft, einfach grauenhaft.
Alle Frauen waren sich im klaren darüber, daß diese merkwürdigen Bedenken die Skala ihrer Lebensäußerungen in ihrer Ehe einschränkten und ihre Stimmungen so modulierten, daß sie dem Ideal von Bravheit und Nettigkeit entsprachen, selbst wenn ihnen beides nicht besonders gut gelang. Sie hielten dies für ihre Rolle — was Alix als »angenehme Pflicht« bezeichnet. Eine Frau meinte, der einzige Unterschied zwischen diesem Verhalten und dem »Augen-zu-und-durch«-Sex, von dem sie ihre Großmutter hatte reden hören, sei, daß ihre eigene Generation Sex zugegebenermaßen liebe und deshalb niemand so tue, als handle es sich um eine unangenehme Pflicht. Aber es sei dennoch eine Pflicht, wenn auch eine, die Lustgewinn verspreche. Und die Notwendigkeit, dem Ideal zu entsprechen, gebe ihnen immer noch das Gefühl, infantilisiert zu werden, nicht als »erwachsen« behandelt zu werden. Am schlimmsten aber sei das Gefühl, daß man von ihnen erwarte, jemand anderer zu sein als sie selbst.
Es war keine Frage, ob ihre Männer übermäßig fordernd waren oder nicht; ob sie aus individuellen psychischen Motiven gegen Frauen wetterten oder nicht, ihre Mütter haßten oder verehrten oder das Bedürfnis hatten, ihre Frauen zu beherrschen. Mag sein, daß die Männer es darauf angelegt haben, ihre Ehe zu einer Wiederholung ihrer Herkunftsfamilie zu machen, indem sie ihren Frauen die Rolle besserer Mütter anwiesen, als es ihre eigenen gewesen waren. Entscheidend ist, daß die Frauen bei dieser Selbsttransformation mitmachten, ob sie nun von ihren Männern dazu genötigt wurden oder nicht. An sich selbst vollstreckten sie das schon vor Urzeiten etablierte System.
Ihre Geschicklichkeit im Verbergen ihrer Stimmungen und ihrer Sexualität empfanden sie als etwas Altes und Ausgeleiertes, ebenso unvermeidlich wie unerklärlich: Sie konnten den Impuls dazu, jedenfalls gegenüber ihren Männern, bis in ein frühes Stadium ihrer Ehe zurückverfolgen. Manche sagten, sie hätten sich früher mit ihren Männern sexuell freier ausgelebt, aber das sei lange her. Es bestand eine klare Verbindung zwischen der geheimen Verabredung mit ihren Männern, bessere Ehefrauen zu sein, und dem Gefühl, nicht wie Erwachsene zu handeln bzw. nicht als solche behandelt zu werden.
Laura sagt, sie habe in der Beziehung zu ihrem Liebhaber ihr idealisiertes Selbstbild aufgeben müssen, um erwachsen zu werden. Dies sei der erste Schritt zu der gleichberechtigten Beziehung gewesen, die sie nach ihrem Gefühl mit Cliff hat.
Was ich mit »erwachsen« meine, ist vielleicht, daß die Entscheidungen so oft meine eigenen sind, und das gibt mir das Gefühl des Erwachsenseins, verstehen Sie, wenn ich nicht alles davon abhängig mache, was für jemand anderen am besten ist, wenn ich nicht kapituliere oder zuvorkomme oder irgendein fiktives, fragiles Ego schütze, wobei mein Vergnügen irgendwie unter den Tisch fällt oder vielmehr dadurch zustande kommen soll, daß ich ihm Vergnügen bereite.
Wir manipulieren einander auch nicht, wir geben zum Beispiel nicht vor, etwas zum Besten des anderen zu tun, um eigenes Tun zu rechtfertigen. Wir benehmen uns nicht wie Vater und Mutter oder Sohn und Tochter; wir benehmen uns wie Gleichberechtigte, die ein kompliziertes Leben haben, die die Dinge aushandeln und Kompromisse schließen und streiten müssen, um einander zu lieben. Das empfinde ich als angemessen. Manchmal auf schwierige Weise errungen, aber angemessen und wichtig.
Im Gegensatz dazu spricht Laura davon, sich in ihrer achtjährigen Ehe »infantilisiert« zu fühlen, jetzt, mit fünfunddreißig, mehr als mit Ende zwanzig; immer wieder ist mir diese auffallende Korrelation zwischen dem chronologischen Älterwerden und dem gleichzeitigen Verlust des Gefühls, eine »Erwachsene« zu sein, begegnet — eine geschlechtsspezifische Anomalie, die sich einzustellen scheint, wenn sich Frauen nach langjähriger Ehe »alt«, aber nicht »erwachsen« fühlen — , während dieselben Frauen sich in ihren Liebesbeziehungen »erwachsen«, aber nicht »alt« fühlen. Ich schreibe dies wiederum ihren außerehelichen Verhältnissen zu, die das Abweichen von idealisierten Modellen der Weiblichkeit und Männlichkeit geradezu herausfordern, der Rückkehr zu lockeren, zwanglosen, unidealisierten Beziehungen.
»Ich bin darin besser als in der Ehe«, sagt Connie wehmütig zu mir.
»Worin ?« frage ich. »Was meinen Sie mit
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