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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalma Heyn
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Verlauf Harry geäußert hatte, daß er viel glücklicher wäre, wenn sie ihr Tun nicht geheimzuhalten brauchten.
    »Dann zieh’ doch aus, dann brauchst du dich nicht zu verstecken«, hatte sie geantwortet.
    »Wenn ich das mache, wirst du es dann auch tun ?« fragte er.
    Das war das Letzte, was sie vorhatte. Sie erwiderte etwas Unverbindliches, etwa: »Mal sehen .« Und dann zog Harry tatsächlich aus. Er hob aber hervor, daß das sein Bedürfnis gewesen sei und sie sich deswegen nicht unter Druck gesetzt fühlen sollte. Sie sprachen auch nicht von Scheidung, höchstens implizit: »Wir redeten über Urlaubsreisen, die wir gern zusammen gemacht hätten, von denen wir aber wußten, daß sie nie realisierbar sein würden, z.B. nach Ecuador«, sagt Paula. »Oder wir phantasierten darüber, was wir im Alter tun würden. Mir schien, als sei er so unglücklich zu Hause gewesen, daß er auf jeden Fall ausgezogen wäre. Ich glaubte ihm, als er sagte, daß er das schon vorgehabt habe, bevor er mich kennenlernte .«
    Aber sobald er ausgezogen war, hatte sie das Gefühl, daß er eben doch auf sie warte. Harry sei zu sehr Gentleman, um mehr als leisen Druck auf sie auszuüben, sagt sie, und lange Zeit zuckte er nicht mit der Wimper, wenn sie nach Hause ging. »Eines Tages aber zog er mich einfach zu sich hinüber und sagte: >Genug jetzt. Du bist ein braves jüdisches Mädchen, du brauchst es, verheiratet zu sein, du bist verheiratet. Also geh und sei verheiratete Gerade als ich es wirklich genießen konnte, diese zwei Beziehungen gleichzeitig zu haben, stellt er fest, daß es ihm reicht. An dem Tag erbrach ich mich, und das ging zwei Wochen lang täglich so weiter .«
    »Er hat nicht einmal mit Ihnen zu sprechen versucht und Sie nach Ihren Plänen gefragt ?«
    »Ja, doch. Ich fragte ihn, >Was erwartest du von mir ?< , und er sagte: >Ich möchte, daß du George verläßt und zu mir ziehst.< >Ich soll George verlassen<, meinte ich, so wie: >Ich soll Präsident werden? Ich soll mein Kind erschießen ?< Gibt es etwas Unerhörteres als den Gedanken, George zu verlassen? Wissen Sie, daß mir dieser Gedanke, bis er das sagte, noch kein einziges Mal durch den Kopf gegangen war? Wissen Sie, was George tun würde? Er würde meinem Leben ein Ende setzen oder Melissa entführen, oder mich vor Gericht für verrückt erklären lassen. Tatsächlich hat er das einmal gesagt. »Wenn du mich je verläßt, dann würde es mir nicht schwerfallen, dich für verrückt erklären zu lassen. Allein deine Einkaufsrechnungen beweisen, daß du eine ungeeignete Mutter bist .< — Und außerdem läßt man sich nach dreiundzwanzig Jahren Ehe nicht scheiden; das tut man einfach nicht. Nicht in meiner Familie. Nicht in Georges Familie. Es ist unsere Familientradition, verheiratet zu bleiben .«
    Weder in ihrer russisch-jüdischen noch in Georges deutsch-jüdischer Familie hatte sich je jemand scheiden lassen, und es gab auch niemanden, dem man ein Verhältnis nachsagte. »Kein Onkel, keine Urgroßmutter, kein aus der Art geschlagener Cousin. Alle sind und waren hundertprozentig zuverlässig und nur auf die Familie orientiert. Zu behaupten, daß die Ehe fraglos an erster Stelle stand, wäre noch Understatement gewesen. Egal, was schiefging, wer starb, wer eine Operation hatte — meine Mutter pflegte zu fragen: »Bist du verheiratet ? Dann danke Gott.<
    Harry war entsetzt, als ich ihm sagte, ich sei noch nie auf den Gedanken gekommen, von zu Hause wegzugehen. >Was haben wir dieses ganze Jahr lang eigentlich getan ?< , fragte er. >Was denkst du, was das ist — ein Abenteuer, ein Spiel ?< Ich versuchte, etwas zu sagen, aber ich spürte, er würde mich nicht verstehen. Ich liebte ihn, liebte ihn wirklich, aber ich hatte nie daran gedacht, George seinetwegen zu verlassen. Ich glaube, er war schrecklich verletzt. Vielleicht dachte er, ich empfände insgeheim eine große Liebe für George, über die ich ihm bisher nichts gesagt hätte. Aber das mit George war weniger Liebe als innere Verpflichtung, und die schien nicht verhandelbar. Ich hatte ihm nichts zu sagen. Und deshalb ging ich .«
    Danach war es für Harry und Paula unmöglich, einander wiederzusehen. Sie hatten die Gewohnheit angenommen, sich jede Woche um dieselbe Zeit in ihrem chinesischen Restaurant zu treffen, ohne dazwischen zu telefonieren. Obwohl Paula am nächsten Dienstag um halb ein Uhr an ihrem Tisch erschien — für den Fall einer noch so geringen Chance, daß er da sein würde — , wußte sie,

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