Die heimliche Lust
daß keine Hoffnung bestand. Harry kam nicht. »Ich hätte ihm so gern erklärt, warum ich in meiner Ehe bleiben wollte«, sagt Paula. »Nun ja, >wollte< ist hier ein komisches Wort. Sagen wir, warum ich mich >dafür entschieden hatte<, in meiner Ehe zu bleiben .«
Sie fühlte sich niedergeschmettert durch Harrys Entschluß, sie nicht mehr zu sehen. Die Übelkeit ließ nicht nach. In den nächsten zwei oder drei Monaten las sie alles mögliche über außereheliche Beziehungen und brütete über jedem Buch, jeder Zeitschrift auf der Suche nach der Antwort. Sie untersuchte die Arten von Beziehungen, die Ähnlichkeit mit der ihren hatten, um zu sehen, wie das normale Ergebnis war, ob die eine Lösung besser war als die andere. »Ich wollte herausfinden, was mit mir geschehen würde. Was geschah mit Menschen, deren Herz gebrochen war? Was geschah mit ihrer Ehe? Würde am Ende alles ins Lot kommen? Würde ich mich wieder fangen ?«
Es gab niemanden, mit dem sie reden konnte, und ihre Übelkeiten wurden nur noch schlimmer.
»Wissen Sie, was ich gelernt habe, während des zweiten Monats ohne Harry, als ich mich immer noch jeden Morgen übergab, als ob ich schwanger wäre? Man braucht jemanden, der weiß, was man mitmacht. Egal wen, die eigene Mutter, eine Freundin. Ich war sogar nahe daran, es Melissa zu sagen. Jemand muß in die Affäre eingeweiht sein, der einem den Verlust nachfühlen kann, den man empfindet. Niemand wußte von Harry! Das war eine ganz neue Erfahrung — niemand, mit dem ich reden konnte. Es war, als betrauerte ich den Tod eines Mannes, der nie gelebt hatte, eines fiktiven Freundes. Ich war gezwungen, meine Gefühle für den, der mir soviel bedeutet hatte, unsichtbar zu halten. Es war mir nicht einmal gestattet, zu trauern — er war ja verboten. Nicht einmal das innere Recht auf mein eigenes Unglück hatte ich, weil ich als das brave Mädchen, das ich war, glaubte, ich dürfe diesen Mann nicht lieben! Ich wurde verrückt.
Ich hatte solche Herzschmerzen, buchstäblich Herzschmerzen, daß ich überzeugt war, organisch krank zu sein. Als ob ein Fremdkörper darin säße oder eine Art schmerzhafter Verkrampfung, die noch mehr wehtat, wenn ich den Hals bewegte. Ich ging zum besten Herzspezialisten der Stadt. Er sagte, meinem Herzen fehle nichts. Wie komisch — der beste Herzspezialist in der Stadt konnte ein gebrochenes Herz nicht diagnostizieren! Der Gipfel der Ironie! Ich fragte ihn, ob Traurigkeit das Herz krank machen könne, ob es zumindest einen Zusammenhang gebe. Dabei lachte ich immer noch und wartete bloß auf seine entsetzliche Antwort, daß er sagen würde: >Ihnen muß nur jemand ihre Hysterie herausoperieren !< Aber er sagte ganz sanft und klug: >Natürlich gibt es einen Zusammenhang. Er ist bloß nicht sichtbar. So etwas können wir mit diesen Apparaten nicht erfassen<. Ich lachte noch mehr, weil ich ihn so unterschätzt hatte und über meinen schwächlichen Versuch, ihn zu überführen. Ich wartete immer noch auf irgendein medizinisches Kauderwelsch über >ein beginnendes Irgendwas< oder dergleichen. Als ich die Arztpraxis verließ, hatte ich das verzweifelte Bedürfnis, Harry anzurufen. Ruf ihn einfach an! Tu es! Damit diese schrecklichen Herzschmerzen verschwinden. Ruf ihn an. Ich hatte diesen Ohrwurm im Kopf, dieses Beatles-Lied: Get back! Get back! Get back to were you once belonged!
Ihre Freundin Carol sah sie die Praxis verlassen, Carol, die sie zweimal im Monat anrief, um sich über die Sonderangebote informieren zu lassen; sie hatte dieselbe Kaufwut wie Paula. Als sie einander über den Weg liefen, erschrak Paula: »Ich hatte Sachen aus dem Kleiderschrank meiner Tochter an: verwaschene schwarze Leggings, einen riesigen alten Pullover mit einem großen Koala-Bären darauf, den Lady Di vor Jahren auf irgendeiner Reise nach Australien populär gemacht hatte, und Arbeitsstiefel. Ich versuchte, ihr vorzumachen, daß ich an diesem Morgen bloß mal aus dem Haus gelaufen sei..., aber so, wie ich aussah, waren Worte überflüssig. Ich starrte auf meine Stiefelspitzen hinunter, murmelte irgend etwas Erbärmliches. >Ich fahre heute nachmittag aufs Land<. Sie sah mich an und begann zu reden, aber ich lief davon.
Später rief Carol Paula an. Sie faßte sich sehr kurz am Telefon. Was los sei, wisse sie ja nicht, und es täte ihr leid, daß sie nicht geholfen habe, vielmehr nicht habe helfen können, aber sie sei selbst depressiv gewesen und sie kenne die Anzeichen — ob es das sei? Sie wisse
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