Die heimliche Lust
sein Unterkiefer entspannte sich, sein Blick kehrte zu ihren Augen zurück, und sie wußte, daß dies ihr gemeinsames Schicksal war: Während sie genug Gefühle für drei äußerte und mehr Wahrheiten, als irgend jemand hören wollte, lauschte er und beobachtete und lernte von ihr, wie man einander nahekommt, wie man sein Herz öffnet. Als Gegengabe für ihre Intensität und Ehrlichkeit kamen ihr seine Stabilität und Stärke und enorme Geduld zugute.
Deshalb wußte sie im Grunde nicht, welche Reaktion sie sich von Daniel erhoffen konnte, aber doch wenigstens irgendeine! Sie war einen Monat weggewesen! Und es war ein so krasser Wechsel von der erregenden Atmosphäre des Theaters, der vertrauten Launenhaftigkeit der Schauspieler und ihren jederzeit frei geäußerten Gefühlen — inzwischen war das zu einem Lebenselixier für sie geworden — zu dem hier, ihrem Zuhause, wo Daniel und die Katzen ihre Stimmungen verbargen und ihre Gefühle geschickt verschleierten, in dem Bemühen, wie ihr schien, ihr erneut zu beweisen, daß sie Distanz halten konnten.
Aber es war nicht bloß die Intensität des Theaters und der Beziehungen, die sie dort hatte, worauf ihr Gefühl der Enttäuschung zurückzuführen war; es war die Intensität der Liebesaffäre, die sie in den letzten zwei Wochen dort gehabt hatte.
Ein Geschäftsmann, der sie bei der Premiere als die vierzehnjährige Hedwig in der Wildente erlebt hatte, hatte Amanda hofiert — er war jeden Abend nach der Vorstellung in ihre Garderobe gekommen-, bis sie schließlich seine Einladung zum Abendessen angenommen hatte. Er kam weiterhin jeden Abend in ihre Garderobe, bewaffnet mit Champagner und Blumen und einer neuen Adresse für ein spätes Souper, und nach zwei Wochen ging sie mit ihm nach Hause.
Amanda ist die Freundin einer guten Freundin von mir, durch die ich sie kennenlernte. Das trug vermutlich dazu bei, daß wir bald sehr offen miteinander redeten. Als sie an jenem düsteren Morgen im Dezember 1988 in meine Wohnung kam, begriff ich sofort, warum eine Frau ihres Alters — sie war damals 29 — in dem Ibsen-Stück als Vierzehnjährige besetzt werden konnte. Sie hatte das klare, offene Gesicht eines jungen Mädchens, blaßblaue Augen und langes, glattes, weizenblondes Haar — eine anziehende, dabei unschuldig wirkende Schönheit.
Sie habe Daniel soeben von ihrer Affäre mit Charles erzählt, berichtete sie mir. Ich fragte sie, wie sie es ihm gestanden habe, was sie gesagt habe.
Sie erzählte es Daniel genauso, wie es geschehen war, den äußeren Ablauf und auch, was in ihr vorging. »Charles hatte mich bei der Premiere als Hedwig gesehen und war wirklich beeindruckt — beeindruckt von der Figur«, sagte sie. »Hedwig ist die einzig unschuldige Person in dem Stück, und Charles behandelte mich, als ob ich sie wäre, dieses unschuldige und brave Kind. Er war fasziniert von mir aufgrund der Figur, die ich in dem Stück darstellte. Ich war in seinen Augen ein reizender, liebenswürdiger, guter Mensch, weil ich das auf der Bühne war. Sie können sich nicht vorstellen, was das für mich als Schauspielerin bedeutete. Ich hatte ein Netz der Illusion gesponnen, das ihm real erschien. Das bedeutete, daß ich mein Ziel erreicht hatte .«
»Und was ist mit Ihren Gefühlen für ihn ?«
»Ich war auf dieser Reise immer einsamer geworden. Mein Verhältnis zu Daniel war nicht sehr gut gewesen, als ich wegfuhr. Daniel war hin- und hergerissen — er ist Architekt, aber er wußte nicht, ob er weiter unterrichten sollte. Er war nicht sicher, was er mit seinem Leben tun wollte, und schwankte, welche Richtung er einschlagen sollte. Aber wer weiß schon immer, wohin es mit seinem Leben gehen soll? Er war jedenfalls schlecht drauf und schien wirklich ziellos. Ich wußte dagegen genau, was ich in meinem Beruf wollte, und so bin ich vielleicht ungeduldig gewesen. Auch hatten Daniel und ich im letzten Jahr viel Streß. Wir sind zweimal umgezogen — habe ich Ihnen das erzählt?
Und ich hatte abgetrieben. Ich war zur ungünstigsten Zeit für uns schwanger geworden, vor allem für Daniel, der nicht wußte, wie es mit ihm weitergehen sollte. Er wollte das Kind wirklich nicht, und ich war ambivalent. Dennoch machte uns dieser Entschluß traurig. Und... wir fühlten uns unbehaglich miteinander. Ich habe unentwegt darüber geredet, er aber nicht; dann zogen wir um, und ich war auf Proben, — wir waren etwas auseinandergedriftet.
Bei Charles wußte ich die ganze Zeit, daß wir nicht
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