Die heimliche Lust
?«
»Möglicherweise; ich bin mir nicht sicher. Ich würde es mir wahrscheinlich eine Weile gefallen lassen, bis irgend etwas die Situation verändert. Ich würde mich wahrscheinlich dazu bereit erklären, aber wenn eine Veränderung einträte, würde ich auch nichts dagegen tun. Worauf ich mich jetzt konzentriere, ist der Versuch, mehr zu Hause zu sein, mehr mit ihm zusammen. Damit ich keine Affäre zu haben brauche, vielleicht. Wenn ich eine brauche, werde ich es tun. Aber ich beschäftige mich jetzt innerlich nicht damit, sondern ich möchte unsere Beziehung bereichern. Natürlich — wir müssen es beide wollen. Wir müssen beide offener, gesprächsbereiter im Hinblick auf unsere Schwierigkeiten werden .«
Amanda und ich unterbrechen das Interview, um etwas zu essen. Wir schalten das Tonbandgerät aus und machen uns Toast und Kaffee. Dabei reden wir auch über andere Dinge, aber irgendwie können wir uns vom Thema der sexuellen Ausschließlichkeit nicht losreißen. Sie sagt: »Darüber könnte ich noch viel mehr reden, ich habe viel darüber nachgedacht .« Ich schnappe mir Toast und Kaffee und schalte das Gerät wieder ein.
»Man stirbt nicht von Seitensprüngen«, beginnt Amanda. »Man entwickelt sich durch sie. Diese enge Vorstellung, die wir alle haben — ob wir nun Katholiken, Protestanten, Baptisten oder Juden sind — , daß wir von diesen schrecklichen Gefühlen aus der Bahn geworfen werden könnten, daß man daran sterben oder daß Gott einen deswegen tot umfallen lassen könnte — furchtbar! Wir haben sie alle, diese Gefühle! Und sie verletzen andere Menschen nicht unwiderruflich. So ist das Leben .«
»Ja«, sage ich, »aber Handlungen haben Folgen, und niemand ist je imstande gewesen, die Heftigkeit der Gefühle zu erklären, die durch den Verrat am Monogamieversprechen ausgelöst werden .«
»Bedeutet das, daß Leute, die Seitensprünge machen, sie verbergen sollten? Vielleicht. Für mich ist das nichts. Ich möchte lieber erkunden, was das eigentlich für Gefühle sind, die so heftig wie simpel sind, wo sie herkommen und wie unsere Einstellung zu ihnen in dieses System von Gut und Böse eingespannt ist. Ein Seitensprung ist nichts Böses. Es ist kein Betrug an Daniel, was ich getan habe; es ist in keiner Weise eine Abwertung seiner Person. Diese Vorstellung, daß man, wenn man etwas tut, was unrecht ist — wie Ehebruch —, zwangsläufig seine Ehe oder gar sein Leben ruiniert oder seinen Partner umbringt — ich kann das nicht hören. Das ist eine Sonntagsschulidee. Sie paßt nicht zu meinem Bewußtsein. Es ist eine Lüge. Sie hat sehr wenig mit meinem Leben und meinen Zielen zu tun. Solche Normen funktionieren nicht. Und die Konsequenzen dieser Normen sind für mich ebenfalls nicht relevant. Ich möchte mich lieber entwickeln als auf Nummer Sicher gehen.
Sich zu entwickeln, kann bedeuten, etwas zu tun, was man nicht versteht. Jahre später, wenn wir imstande sind, das seelisch zu verarbeiten, sagen wir: >Jetzt begreife ich, worum es bei all dem ging. Jetzt begreife ich, warum ich das getan habe .< «
»Und — begreifen Sie es ?«
»Ja. Ich suche die intensive Nähe, ich brauche sie. Das ist kein vages Bedürfnis, sondern ein dringendes .«
»Dann wird Daniel wahrscheinlich wieder den kürzeren ziehen, oder ?«
»Ich weiß nicht. Da ist soviel an ihm, was ich mag und auch brauche. Er ist so... gütig. Aber das sind Apfel, und emotionale Nähe, sexuelle Intimität, das sind Orangen .«
»Macht Ihnen das Angst ?«
»Nicht wirklich. Liebe und Ehe — ich kann nicht länger akzeptieren, daß ein altes System Macht über mich hat. Diese Ammenmärchen möchte ich hinter mir lassen. Ich bin bereit, verheiratet zu bleiben und mich dem zu stellen, was im Laufe unseres Lebens auf uns beide zukommt, und ich bin auch bereit, nicht verheiratet zu sein, wenn es darauf hinausläuft! Was ich mit Sicherheit nicht will: mit einem überholten Glaubenssystem leben, das für beide Partner verdummend ist.
Man hat uns beigebracht, daß lebenslange sexuelle Ausschließlichkeit völlig natürlich sei. Hat irgend jemand begriffen, daß wir heute über fünfzig, sechzig Jahre Ehe sprechen? Hören Sie, es ist nicht natürlich, ein halbes Jahrhundert nur mit einem Menschen zu schlafen — das ist länger als die durchschnittliche Lebenserwartung vor zweihundert Jahren! Und selbst wenn es natürlich wäre, warum schaffen es dann so viele Menschen nicht, ein Leben lang treu zu bleiben? Oder ein Jahrzehnt?
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