Die heimliche Lust
Warum finden wir uns nicht endlich damit ab? Warum untersuchen wir nicht zumindest andere Möglichkeiten? Warum bin ich verworfen, wenn mir das auffällt?
Warum ist unsere selbstverständliche Antwort auf Affären nur immer Scheidung? Wir sagen: >Nun, du warst mir sexuell nicht treu, lassen wir uns also scheiden .< Ist Scheidung wirklich die einzig mögliche Lösung nach einem Seitensprung? Ist die Ehe eine so rigide Beziehung, daß es nur diese Alternative gibt: lebenslange Treue oder Auseinandergehen ?«
»Wünschen Sie sich eine >offene< Ehe ?« frage ich.
»Nein.«
»Sagten Sie nicht, daß Sie sich ein Arrangement wünschen, das andere Sexualpartner ermöglicht ?«
»Ermöglicht, ja, aber nicht vorsieht. Und nicht davon ausgeht, daß die beteiligten Personen irgendwie ohne Gefühle wären — quasi bloß ein Bedürfnis befriedigten. Eine offene Ehe leugnet die Tatsache, daß ein Seitensprung eine Beziehung ist; das Modell >offene Ehe< macht ein Bumsabenteuer draus und sonst nichts.
Vielleicht rationalisiere ich bloß, weil ich das Recht darauf für mich will, es ihm aber nicht gönne, aber eigentlich glaube ich das nicht. Was mich daran stört, ist, daß es so theoretisch ist, besser: ein Dogma. Ich weiß nicht. Irgendwie bloß ein weiteres ideales System, das für niemanden ideal ist.
Meine Ehe paßt in kein Schema. Sie ist nicht unbedingt leicht, aber ich finde sie gut. Mir gefällt an meiner Ehe — oder an unserer Beziehung, unabhängig von Ehe — , daß wir einander veranlassen, uns zu entwickeln. Vielleicht klingt das zu sehr nach Zwang, als ob wir einander dazu nötigten? Das tun wir nicht. Einer wächst durch den anderen .«
»Eine letzte Frage für heute: Können Sie sich einen besseren Weg vorstellen? Worum Sie ringen, scheint mir, ist Freiheit von alten Regeln, aber innerhalb der Struktur der Ehe. Würden Sie die Struktur verändern wollen ?«
»Sie ist abhängig von den Beteiligten. Ich weiß, daß wir bei unserer Heirat einander versprechen konnten, uns nicht anzulügen, statt diese Gelübde abzulegen, die doch eigentlich grundsätzlich Lügen sind, die wir dann würden brechen müssen .«
12. Sag ich’s ihm oder sag ich’s ihm nicht?
Wir besitzen keinen Schlüssel, der in allen Fällen paßt... Moralische Urteile müssen falsch und hohl bleiben, wenn sie nicht durch ständige Bezugnahme auf die besonderen Umstände, die das individuelle Los kennzeichnen, überprüft und erhellt werden.
George Eliot. The Mill on the Floss
Wäre dieses Buch ein Roman, dann hätte ich Amanda zu einer sympathischeren Figur machen können. Aber eine revolutionärere Heldin hätte ich kaum erschaffen können. Woran sie glaubt, das ist beiderseitiges Vergnügen und völlige Ehrlichkeit in Beziehungen, und sie ist bereit, nach ihren Überzeugungen zu leben. Aber um sie sympathisch zu machen, hätte ich eine enorme Aufgabe zu bewältigen: Ich müßte bei Ihnen, der Leserin/dem Leser, Anerkennung für sie wecken; ich müßte erreichen, daß Sie bereit wären, sich in sie hineinzuversetzen, sie anzunehmen. Denn Amandas Zuneigung zu Daniel entspricht nicht der üblichen Definition weiblicher Zuneigung. Wären ihr Daniel und seine Gefühle wirklich wichtig, so nehmen wir an, dann hätte sie diesen Seitensprung nie gemacht.
Wäre ihre Ehrlichkeit bezüglich ihres Verhaltens von Reue begleitet gewesen, oder wäre sie, entschlossen, sich zu ändern, zu Daniel zurückgekehrt und hätte ihn um Verzeihung gebeten — hätte es ihr leidgetan — , dann wäre es leichter, mit ihr zu sympathisieren. Wäre sie weniger selbstgerecht, dann würde es uns leichterfallen, sie zu mögen. Sicherlich würde ihre Geschichte eher mit anderen, den vertrauten, übereinstimmen, wenn sie bestraft würde — etwa wenn ihr Gesicht verunstaltet würde und sie nicht mehr als Schauspielerin arbeiten könnte bzw. wenn Daniel sie verließe und kein anderer Mann sie je wieder anschaute.
Aber Amanda wurde nicht bestraft, sie hat ihren Seitensprung nicht bedauert, und sie ist nicht bereit, sich zu ändern. Die Kühnheit einer solchen Position mag jenen abstoßend erscheinen, die meinen, eine Frau hätte zwar einmal ein Recht auf Zügellosigkeit, auf Leidenschaft — auch auf außereheliche Leidenschaft — , die ihr diesen »Ausrutscher« nur vergeben können, wenn sie bereut und, noch wichtiger, wenn sie bereit ist, den Preis zu bezahlen und zur Wohlanständigkeit zurückzukehren.
An die Grenzen von Amandas Realität gebunden, kann ich sie
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