Die heimliche Päpstin
Männerrufe und blökende Rinder. Soll um diese Zeit noch ein Schiff entladen werden? Müssen in tiefster Nacht bereits die Tiere ihren letzten Weg zur Schlachtbank antreten?
Morgen früh wird sich unsere Zukunft entschieden haben: Ich bleibe bei meiner Mariuccia. Lieber will ich in Treue sterben als in schamvoller Erinnerung und mit gebrochenem Herzen dahinvegetieren, selbst wenn es im byzantinischen Luxus sein sollte. Nach so vielen Jahren Sehnsucht nach Heimat und Kindheit verspüre ich in dieser Nacht sogar Angst vor der Rückkehr. Stehen der Granatapfel- und der Feigenbaum noch, erfüllen die Goldorangen und Limonen unsere alte Loggia mit ihrem zarten Duft? Ich sehe mich dort sitzen, von vier Enkeln umsprungen. Meine Schwiegertochter Olympias ruht, erneut schwanger, neben mir. Nachdem sie so lange ihren geliebten Gemahl hat entbehren müssen, verschlingt sie ihn nächtelang in glücklicher Vereinigung, in der Erkenntnis einer ungebrochenen Liebe, die keinen Verlust kennt, die nie vor die Entscheidung zwischen Pflicht und Neigung gestellt wurde und auch nicht weiß, wie es ist, wenn der Körper sich in Ekel und Widerwillen abwendet, obwohl man liebt.
Zugleich schreckt mich mehr denn je die Aussicht auf die endlose Nacht des Kerkers.
Wird Alberico mich wirklich zurückschicken? Will er seine Mutter dem unausweichlichen Tod preisgeben? Eins weiß ich sicher: Stirbt der letzte Funken Hoffnung, stirbt auch Marozias Lebenswille. Ich werde ihr wie eine treue Sklavin ins Grab folgen und dort endlich in aponia und ataraxia meine Eltern wiedersehen, auch Euthymides, der mit Epikur diskutiert, ob Leib und Seele in Atome zerfallen und sich im unendlichen Kosmos verlieren oder ob sie sich neu gruppieren zu Lichtgestalten ewigen Glücks.
Im Park tauschen Käuzchen Fragen und Antworten aus. Der Nachhall von Lamberts Schrei ist noch immer nicht verklungen. Marozia hängt in meinen Armen, weil sie nicht aufhören kann, sich zu übergeben. »Ich will nach Rom zurück«, stößt sie zwischen zwei Konvulsionen aus.
Wir hören Kampfeslärm und trunkenes Männergeschrei. Über die Dächer von Lucca treibt rötlicher Rauch. König Hugo kommt in unser Gemach und ruft uns zu: »Mein Heer hat die Tore aufgebrochen und besetzt die Stadt. Das hat er nun von seinem Gottesurteil, der Narr.«
Nein, ich werde diese Nacht nicht mehr schlafen können, und so führe ich die Feder, um Marozias Geschichte, bevor der Morgen graut, bis an ihr bitteres Ende zu erzählen.
Zuvor muß ich von König Hugo sprechen, dessen Truppen sich ohne nennenswerte Gegenwehr der Stadt bemächtigten. Ohne weiteres Blutvergießen vollzog sich auch der Machtwechsel in Tuszien: Lambert überlebte zwar, ihm ging es jedoch wie Kaiser Ludwig und anderen Herrschern in unserer grausamen Zeit: Er konnte lediglich sein Schicksal beklagen und mit dem so fernen, gleichgültigen Gott hadern. Als Markgraf setzte ihn Hugo kurzerhand ab und ernannte wie zum Hohn Boso, seinen Bruder vom Vater her, zum Herrscher von Tuszien.
Boso mußte allerdings erst aus der Provence gerufen werden, und so ließ König Hugo eine Besatzung in Lucca und anderen Städten Tusziens, zog noch einmal nach Pavia, um sich dort der Treue der lombardischen Grafen, Herzöge und Bischöfe zu vergewissern. Zudem mußte er Soldaten ausheben und trainieren, um sein Heer zu vergrößern, das mit ihm im Triumph nach Rom marschieren sollte. Dort beabsichtigte er, wie von Marozia vorgeschlagen, die Herrin der Stadt zu ehelichen und sich zum Kaiser krönen zu lassen.
Eine Weile hatte ich geglaubt, nach Hugos grausamem Überfall auf Lambert würde Marozia sich von dem König abwenden, doch nach einigen Tagen siegte in ihr, wie sie mir erläuterte, die Vernunft. Das Ziel, Italien zu einen, lag in greifbarer Nähe, Kaiserin zu werden, ebenfalls. Hugo gierte stärker denn je nach ihrem Körper, den sie ihm jedoch vorerst verwehrte, was nicht einfach war, denn er neigte, wie wir alle unmißverständlich erfahren hatten, zur Gewalt.
Marozia schwankte zwischen Abscheu vor diesem Mann und einer befremdlichen Faszination. Auch ihr Körper schwankte zwischen Widerwillen und Verlangen. Während einer Nacht in Lucca hätte Hugo um ein Haar sein Ziel erreicht, nachdem sie ihn nicht rechtzeitig in seine Schranken gewiesen hatte. Sein Luststachel, so berichtete sie mir kurz darauf, habe ihn nach Küssen und Liebkosungen derart vorangepeitscht, daß nur ihr heftiges und anhaltendes Erbrechen ihn habe davon abhalten können, sie
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