Die Heiratsschwindlerin
dunkles Haar war feucht vom Schnee, aber ordentlich gekämmt, und sie ertappte sich dabei, wie ihr Blick träge über seinen Seitenscheitel glitt. Dann, als er den Kopf umwandte, sah sie schnell fort.
»Also …«, begann sie, hielt dann inne und trank einen Schluck Champagner. Sie schlenderte zum Fenster hinüber, zog den schweren Brokatvorhang auf und sah in die verschneite Nacht hinaus. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wann sie das letzte Mal mit James allein in einem Raum gewesen war, konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich zum letzten Mal normal mit ihm unterhalten hatte. Krampfhaft überlegte sie, worüber sie reden könnten. Wenn sie James den neuesten Klatsch aus Bath erzählte, dann musste sie ihn zuerst darüber ins Bild setzen, um wen es überhaupt ging. Wenn sie ihm von dem Hochzeitsschuhfiasko erzählte, dann müsste sie ihn erst über die Unterschiede zwischen Duchessesatin und grob gewebter Seide aufklären. Nichts, woran sie denken konnte, schien die Mühe so recht wert zu sein.
Früher dagegen, da war ihnen der Gesprächsstoff nie ausgegangen. James hatte ihren Geschichten mit echtem Vergnügen gelauscht; sie hatte über seinen trockenen Humor gelacht. Sie hatten einander unterhalten, sich zusammen amüsiert. Aber dieser Tage schien all seinen Witzen eine Spur von Bitterkeit anzuhaften, die sie nicht verstand, und ein angespannter und gelangweilter Ausdruck trat auf sein Gesicht, sobald sie den Mund aufmachte.
Infolgedessen verharrten beide schweigend, bis die Tür aufging und Milly hereinkam. Sie schenkte James ein kurzes, gezwungenes Lächeln.
»Hallo, Daddy«, grüßte sie ihn. »Du hast es hergeschafft!«
»Hast du Isobel erreicht?«, fragte Olivia.
»Nein«, erwiderte Milly kurz. »Keine Ahnung, wo sie sich herumtreibt. Ich musste noch eine Nachricht hinterlassen.« Ihr Blick fiel auf das Tablett. »Oh, gut. Ich kann jetzt was gebrauchen.«
Sie nahm ein Glas Champagner und hielt es hoch. »Prost!«
»Prost!«, echote Olivia.
»Auf dein Wohl, mein Schatz!«, sagte James. Alle drei tranken; eine kurze Stille trat ein.
»Hab ich euch bei irgendwas unterbrochen?«, erkundigte sich Milly.
»Nein«, sagte Olivia. »Du hast nichts unterbrochen.«
»Gut«, meinte Milly, ohne richtig zuzuhören, ging zum Kamin hinüber und hoffte, man würde sie in Ruhe lassen.
Beim dritten Versuch war sie zu Isobels Anrufbeantworter vorgestoßen. Als sie die blechernen Töne gehört hatte, war Wut in ihr hochgestiegen, eine unsinnige Überzeugung, dass Isobel da war und bloß nicht abhob. Sie hatte eine kurze Nachricht hinterlassen, dann noch einige Minuten auf das Telefon gestarrt, sich auf die Lippen gebissen und verzweifelt gehofft, Isobel würde zurückrufen. Isobel war die Einzige, mit der sie reden konnte – die Einzige, die ruhig zuhören würde, der mehr an einer Lösung als an einer Standpauke läge.
Aber das Telefon war stumm geblieben. Isobel hatte nicht zurückgerufen. Milly umklammerte ihr Champagnerglas fester. Sie hielt diese quälende Angst nicht aus. Auf der Fahrt nach Pinnacle Hall hatte sie stumm im Auto gesessen und sich mit aller Macht zu beruhigen versucht. Alexander würde sich nie erinnern, sagte sie sich immer wieder. Es war eine zweiminütige Begegnung gewesen, die zehn Jahre zurücklag. Daran konnte er sich doch unmöglich erinnern. Und selbst wenn, dann würde er nichts sagen. Er würde stumm seine Arbeit verrichten. Zivilisierte Menschen brachten andere nicht absichtlich in Schwierigkeiten.
»Milly?« Simons Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und sie fuhr schuldbewusst zusammen.
»Hi«, sagte sie. »Hast du dein Fax losgebracht?«
»Ja.« Er nippte an seinem Champagner und sah sie genauer an. »Alles okay? Du wirkst angespannt.«
»So?« Sie lächelte ihn an. »Bin ich aber gar nicht.«
»Du bist angespannt«, beharrte Simon, und er begann, ihre Schultern sanft zu massieren. »Sorgst dich wegen der Hochzeit. Hab ich recht?«
»Ja.«
»Ich wusste es.« Simon klang befriedigt, und Milly schwieg. Simon wiegte sich gern in dem Glauben, eins zu sein mit ihrer Gefühlswelt, ihre Vorlieben und Abneigungen zu kennen, ihre Launen voraussagen zu können. Und sie hatte es sich angewöhnt, ihm beizupflichten, selbst wenn er mit seinen Behauptungen völlig daneben lag. Schließlich war allein schon der Versuch süß von ihm. Den meisten Männern wäre es völlig gleichgültig gewesen.
Und es wäre zu viel verlangt, von ihm zu erwarten, dass er den Nagel immer auf den
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