Die heißen Kuesse der Revolution
ließ sie nicht aus den Augen, und sie wagte nichts mehr zu sagen. Daher wandte sie sich einfach nur um, verließ das Zimmer und stieg die Treppe hinab. Ihre Wangen, ihr ganzer Körper glühte vor Verlangen, und sie fragte sich, ob sie ihn küssen sollte. Bestimmt würde er es zulassen.
In der Bibliothek ertappte sie sich dabei, wie sie reglos vor dem Waffenschrank stand und durch die Glastüren starrte.
Nebeneinander waren drei Pistolen und drei Musketen aufgestellt. Der Schrank war nicht verschlossen. Das war er nie, denn wenn die Zolleintreiber die felsige Bucht hinunterkamen, mussten die Waffen schnell greifbar sein. Julianne holte eine Pistole heraus und schloss die Glastür wieder. Aus einer Schublade entnahm sie Pulver und Zünder und ging damit wieder nach oben.
Charles stand mit dem Rücken zum Fenster und wartete offensichtlich auf sie. Als er die Pistole, das Schießpulver und die Zünder in ihren Händen bemerkte, riss er die Augen auf.
Ihre Blicke trafen sich. Noch immer von Verlangen überwältigt, durchquerte Julianne die kleine Kammer und ging auf Charles zu. Sie reichte ihm die Pistole. „Ich bezweifle, dass Sie sie nutzen müssen“, stieß sie hervor.
Er steckte die Waffe in den Bund seiner Kniehose. Sie reichte ihm auch das Pulver und die Zünder. Er legte sich den Riemen des Pulverbeutels über die Schulter, stopfte die Zündsteine in die Hosentasche. Dann streckte er langsam die Hand nach ihr aus.
Sie sank in seine Arme.
Aber wieder küsste er sie nicht. „Das will ich auch nicht hoffen“, sagte er.
Erschauernd ließ sie ihre Hände über seine Oberarmmuskeln gleiten, die sich unter ihren Handflächen anspannten.
Charles lächelte nicht. Er fuhr ihr mit den Fingerspitzen über die Wangen und strich ihr eine Locke hinters Ohr. „Ich danke Ihnen.“
Julianne nickte wortlos, und Charles ließ sie los.
4. KAPITEL
E r hörte sie lange, bevor sie in der Tür erschien. Dominic schob die Landkarten beiseite, die sie ihm gebracht hatte, denn er hatte sich längst mit dem südwestlichsten Teil von Cornwall vertraut gemacht. Er griff zur Feder und wandte sich wieder dem Brief zu, den er an seine „Familie“ in Frankreich schrieb. Denn das würde ein Charles Maurice mit Sicherheit tun. Und sollte Julianne je auf den Gedanken kommen, hinter ihm her zu schnüffeln, würde sie diese beruhigenden Zeilen lesen, die er an seine nicht vorhandene Familie in Frankreich schrieb. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, dass es besser war, selbst solche aufwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, damit niemand auf den Gedanken kommen konnte, dass er gar nicht der war, der er zu sein vorgab.
Julianne erschien lächelnd an der Türschwelle. Er erwiderte ihren Blick und lächelte zurück. Ein gewisses Schuldgefühl nagte an ihm. Er schuldete ihr so viel. Schließlich hatte sie ihm das Leben gerettet. Aber ihm war längst klar geworden, dass sie von einem Dominic Paget nicht sonderlich entzückt sein würde, einem britischen Adeligen und dazu noch mächtigen Tory. Es erstaunte ihn noch immer, wie sich sein Leben in nichts als Täuschung und Betrug verwandelt hatte.
Eigentlich kannte er Julianne bisher kaum und doch hatte er längst erkannt, dass sie ein zutiefst freundliches und ehrliches Wesen besaß. Sie war gebildet, intelligent und hatte ihren eigenen Kopf. Außerdem war sie umwerfend schön und sich dessen mit keiner Silbe bewusst.
Er blickte sie unverwandt an. Seine Bewunderung konnte ihr nicht entgehen. Sein Körper verspannte sich. Dominic fühlte sich mit jedem Tag besser, und sein Körper hatte wieder begonnen, gewisse Forderungen zu stellen. Er forderte drängend.
Dominic durfte Julianne nicht verführen. Sie war eine edle aber unerfahrene junge Dame, die sich in Charles Maurice verliebt hatte, und nicht in ihn. Sie war ihm bereits völlig ergeben. An sich kümmerte es ihn nicht sonderlich, ob er sich moralisch verhielt oder nicht. Er war ziemlich sicher, dass sein Aufenthalt in London nicht von langer Dauer sein würde. Dominic hatte den Auftrag sicherzustellen, dass die Truppen von Michel Jacquelyn ausreichend britischen Nachschub erhielten. Sobald er sich überzeugt hatte, dass genügend Waffen und Nachschub in die Vendée transportiert wurden, würde man ihn sicher wieder zurück ins Loiretal oder nach Paris schicken.
Dominic zwang sich, die Erinnerung an die furchtbaren Kämpfe und die aufgebrachten Menschenmassen abzuschütteln. Er hatte genug davon, ständig vom Tod zu träumen und
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