Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
Vom Netzwerk:
Katastrophe erreicht. Alles, was Karl Marx einst prophezeit hat, würde damit eintreten.«
    Die Frau schaute mich ungemein gelangweilt an.
    »Eine derartig hohe Preissteigerung setzt voraus, dass irgendetwas im Betriebs- und Handelskreislauf eine überproportionale Teuerung erfahren hat«, fuhr ich fort. »Stark erhöhte Rohstoffpreise oder Energiekosten zum Beispiel, explodierende Einfuhrzölle, rasant steigende Löhne …«
    Als ich die Löhne erwähnte, lachte die Frau spöttisch auf.
    »Ich darf vermuten, dass sich Ihr Gehalt in den letzten Wochen nicht verdoppelt hat?«, sagte ich mit ironischem Unterton und grinste sie fragend an.
    Die Frau grinste gequält zurück. Als sie die Schlange von Menschen betrachtete, die sich im Laufe meiner hochgestochenen wirtschaftstheoretischen Abhandlung hinter mir gebildet hatte und mich mit wütenden Blicken bedachte, verschwand ihr Grinsen.
    »Wollen Sie das Croissant jetzt oder nicht?«, fragte Kralli, die Bäckereifrau.
    »Ich will mein Croissant!«, rief Nele, die geduldig neben mir ausgeharrt, jetzt aber keine Geduld mehr mit ihrem Papa hatte.
    Ich seufzte. Ich nahm mein Portemonnaie und wühlte eine Weile darin herum, weil ich die neuen Münzen immer noch nicht so recht auseinanderhalten konnte. Dann reichte ich der Verkäuferin einen Euro. Sie gab mir zehn Cent und meiner Tochter das Croissant.
    »Guten Appetit, Kleine«, wünschte sie Nele, und ihr Blick sagte: Tut mir leid, dass du so einen nervigen Vater hast.

    Ich bin nicht geizig. Wirklich nicht. Es ging mir nicht ums Geld, als ich mich über die Euro-Verarsche empörte, sondern ums Prinzip. Es kotzte mich einfach an, dass irgendwelche Schlipsträger einfach mal auf die Schnelle ein paar Millionen abgriffen, indem sie den normalen Leuten wie mir hier zehn und da zwanzig Cent aus der Tasche fischten. Ich wollte diesen gierigen Typen kein Geld geben. Ich hätte es lieber in die Elbe geworfen, als die Parasiten in den Konzernen und Banken damit zu mästen. Aber fragte mich jemand? Nein. So etwas konnte mich echt wütend machen.
    Vielleicht wäre das ein gutes Thema für meinen nächsten Roman?, überlegte ich. Vielleicht könnte ich meiner Wut über diese wertlosen Menschen, die seltsamerweise immer noch als Elite gehandelt wurden, in meinem nächsten Krimi Luft machen? Meinen Erstling hatte ich vor einiger Zeit beim Verlag abgegeben, und alle waren zu meiner (und vermutlich auch ihrer eigenen) Überraschung begeistert gewesen. Ich hatte für meinen ersten Krimi einen Helden erfunden, der hauptberuflich als Taxifahrer in Hamburg unterwegs war und nur durch Zufall in einen Mordfall verwickelt wurde. Ein Ermittler wider Willen. Ein Krimi mit viel Hamburger Lokalkolorit. Mein Lektor war sogar so begeistert, dass er fragte, ob ich nicht gleich mit der Arbeit an einem zweiten Teil anfangen wolle. Eine Serie von hanseatischen Lokalkrimis würden sie gerne von mir haben – und das, bevor der erste Teil überhaupt erschienen war. Ich war hocherfreut, natürlich. Und da ich Krimis nach wie vor nicht mochte, fiel es mir doppelt so leicht, sie zu schreiben. Vielleicht war das der Geheimtipp zum Bestseller: leidenschaftsloses Runterschreiben. Denn ich selbst fand meinen Krimi, ehrlich gesagt, zutiefst mittelmäßig.

    Als wir von unserem Bäckereieinkauf zurückkamen, goss ich Nele einen Orangensaft ein, den sie mit auf ihr Zimmer nahm, um dort mit diesen komischen neuen Plastikpüppchen zu spielen, die in ihrem gesamten Freundeskreis offenbar ein Muss waren: Polly Pocket. Hässliche Dinger. Ich dagegen setzte mich an den Schreibtisch, schaltete den Computer ein und öffnete ein neues Dokument. Ich tippte den Arbeitstitel meines zweiten Krimis ein: Tod in der Vorstandsetage.
    * * *
    Sven hasste sich für das, was er dachte. Es war nicht fair, das wusste er. Aber er konnte die Gedanken, dieses Gefühl, einfach nicht abschütteln.
    Sven saß mit Jörn auf der Terrasse eines dänischen Ferienhauses. Jörn hatte Scholle gebraten und einen raffinierten Kartoffelsalat mit Kapern gemacht. Die Sonne schien. Es war ein herrlich warmer Tag für Ende Mai. Eine Flasche guter Wein stand auf dem Tisch. Und die beiden hatten vor nicht einmal zwei Stunden Sex gehabt.
    »Schön, oder?«, sagte Jörn und schaute über die Dünen aufs Meer.
    Nein, dachte Sven, es ist nicht schön. Aber er sagte: »Ja.«
    Wenn Sven Jörn ansah, spürte er nicht mehr dasselbe wie noch vor zwei Jahren. Sven fragte sich, was genau es für ein Missklang war, der sich

Weitere Kostenlose Bücher