Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
Vom Netzwerk:
Dille und selbst Lucy (ganz die Tochter ihrer Mutter) ballten die Fäuste, Sven tippte auf seinem Handy die Nummer des Notrufs ein – da machten plötzlich hunderttausend Menschen gleichzeitig: »Aaaaaaah!« Das Feuerwerk hatte begonnen. Es funkelte und strahlte, explodierte und tanzte in den prächtigsten Farben am Himmel. Alle schauten nach oben – sogar Lucy und Florian, die dieses kostspielige Spektakel eigentlich boykottieren wollten –, und auf wundersame Weise entspannte sich die Lage. Thüringer Waldmänner und Hamburger Weicheier starrten in schweigender Eintracht in den Himmel. Und die Fäuste wurden wieder Hände.
    Irgendwann trollten sich die stoppelköpfigen Drittplazierten der Kriegsspieler-Liga ohne ein weiteres Wort, nicht unglücklich darüber, keine Prügelei mit diesem völlig unkalkulierbaren Haufen von wilden Frauen und pseudoschwulen Möchtegernmachos ausfechten zu müssen.
    Arme legten sich über Schultern, Lippen trafen sich.
    »Alles Gute für das neue Jahr«, sagte Petra zu Dille und küsste ihn.
    »Ich liebe dich«, sagte Sven zu Jörn und Jörn zu Sven, und beide wussten, dass es ehrliche Worte waren. Trotz allem.
    Susann blies einen warmen Atemhauch auf Piets Stirn, so wie man auf das aufgeschlagene Knie eines kleinen Kindes pustete, und sagte lächelnd: »Vielleicht sollten wir die Testosterondosis langsam mal ein wenig senken.«
    Piet, dem sein missglückter Versuch, seine Heldenphantasien auszuleben, ausgesprochen peinlich war, rollte nur mit den Augen.
    »Weißt du was«, sagte Susann. »Das war cooler, als wenn du diesen Typen aus den Schuhen gehauen hättest. Das kann schließlich jeder. Na ja, jeder … außer dir.«
    Piet überlegte kurz, ob er beleidigt sein sollte, doch dann musste er lachen und sagte: »Tut mir leid, dass ich nicht so ein richtiger Kerl-Kerl bin.«
    »Ein was?«
    »Ein Kerl-Kerl.«
    Susann sah ihren Mann fragend an.
    »Na ja, ein Kerl bin ich ja automatisch. Genetisch. Du weißt schon: Bartwuchs, Hoden, dieser Kram.«
    Susann grinste.
    »Aber ein Kerl-Kerl«, fuhr Piet fort, »das ist einer, der den Weg von Flensburg nach Augsburg ohne Navi findet. Einer, der ein Regal andübeln kann, ohne dass es nach zwei Stunden wieder runterkracht oder er sich dabei die Hand an die Wand schraubt. Einer, der weiß, wie man den Ölstand im Auto misst, einer, der weiß, wozu ein, äh … Achtkantschraubendreherdingsbums gut ist. Also … na ja, eben einer, der andere Kerl-Kerle mit einer Kopfnuss k.o. schlagen kann.«
    »Ich liebe dich so, wie du bist«, sagte Susann. »Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es so etwas wie einen Achtkantschraubenbumsdreher überhaupt gibt.«
    Und dann küssten sie sich auch.
    Währenddessen schaute Adolf in den Himmel, von dem ein Goldregen prasselte, und fragte sich, ob Jack ein guter Name wäre.
    Jack Klöbner. Klang nicht übel …

2004
    I ch heulte. Ich saß vor dem Fernseher, schaute das heutejournal und wehrte mich nicht gegen die Tränen, die über meine Wangen liefen.
    Es war der 4. Januar, und der Grund für meine Traurigkeit waren verschwommene, körnige Bilder der Marsoberfläche: Die Raumsonde Spirit glitt über den felsigen Boden und sammelte Sternenstaub ein.
    Sternenstaub!
    Ich konnte nicht anders, ich musste an Bernhard denken. An Bernhard, dem das Leben von seiner Geburt an immer nur übel mitgespielt hatte und der davon geträumt hatte, auf einem fernen Planeten zu leben. Ich erinnerte mich, wie er mir damals erzählt hatte, dass er die Mondlandung im Fernsehen gesehen habe. Er war ein kleiner Junge gewesen, neun Jahre alt. Er hatte sich mitten in der Nacht den Wecker gestellt, hatte sich ins Wohnzimmer geschlichen und vor den Fernseher gesetzt. Seine Eltern hatten geschlafen. Besoffen. Wie üblich. Bernhard war allein gewesen, mutterseelenallein, als er die fremde Welt in dem Schwarzweißfernseher bestaunte. Bernhard hatte den Astronauten gesehen, der federleicht auf dem Mond herumsprang. Schwerelos. Und Bernhard war unsagbar neidisch gewesen. Auf diese wunderbare Welt, in der einen nichts nach unten zog.
    Dreißig Jahre später war Bernhard tot. Ausgemergelt, mit ruinierter Leber und alptraumhaften Blutwerten. Ein Träumer, der sich totgesoffen hatte. Weil die Schwerelosigkeit sich in seinem Dasein niemals einstellte. Weil man sich seine Welt nun mal nicht aussuchen kann. Selbst Neil Armstrong hatte irgendwann auf die Erde zurückkehren müssen.
    Was wäre aus Bernhard geworden, wenn wir sein Geheimnis früher

Weitere Kostenlose Bücher