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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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schon gelebt hat, wiederfinden müsste.
    Aber das galt offensichtlich nicht für die mordlüsternen siebzig Bad Harksdorfer, die meinem eigentlich auf Lacher ausgerichteten Vortrag mit eiserner Miene folgten und am Ende vereinzelt und unwillig die Hände leicht gegeneinanderschlugen. Dieses halbherzige Höflichkeitspatschen einen Applaus zu nennen wäre so, als würde man einen Schluckauf als Orgasmus bezeichnen.
    Zwei Frauen in der vorletzten Reihe erhoben sich und verließen den Saal.
    Verdammt!
    Ich spürte, wie ich knallrot wurde. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich hatte mich in die Idee hineingesteigert, diesen Leuten das Buch, auf das ich wirklich stolz war, vorzustellen, und musste nun so würdevoll wie möglich damit umgehen, dass alle Anwesenden auf diese Vorstellung gern verzichtet hätten.
    Ich schluckte, überlegte kurz und sagte mir, dass ich mit den humorvollen Passagen nicht weit kommen würde. Das war ein Tod-und-Elend-Publikum. Krimifans eben. Also las ich jene Szene, die mir ganz besonders viel bedeutete. Eine traurige Szene. Die, in der der neunjährige Bernhard die erste Mondlandung im Fernsehen sieht.
    Als ich mit dem Kapitel fertig war, fiel der Applaus so dürftig aus, dass man ihn getrost als »Rascheln« bezeichnen konnte. Ich war fertig und wäre am liebsten im Boden versunken. Es traf mich, dass Bernhards Schicksal die Leute nicht nur nicht rührte, sondern sogar langweilte. Da saß ich, allein, auf einer Bühne, von einem Scheinwerfer angestrahlt: der blöde Typ, der redliche Krimifans mit seinem sentimentalen Scheißkram vollsülzte.
    Ich schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten musste ich absolvieren. Sollte ich vielleicht doch noch mal zum Krimi greifen? Ich räusperte mich, schaute mich hilflos um, zögerte … und wurde schließlich von Frau Lösler gerettet, die mit unverhohlen säuerlicher Stimme sagte: »Hat vielleicht noch jemand Fragen an Herrn Lehmann?« Dann wandte sie sich mir zu, und ihre Augen schossen giftige Pfeile auf mich ab. »Fragen zu Ihrem Kriminalroman beantworten Sie doch, oder?«
    Ich lächelte hilflos und sagte: »Na klar.«
    Aber es kam keine Frage aus dem Publikum. Nicht eine einzige.
    Also stellte Frau Lösler mir ein paar Alibifragen, um die peinliche Situation zumindest halbwegs zu retten (»Wer sind denn Ihre Lieblingsschriftsteller? Ich meine, im Krimisektor?« »Äh … Edgar Wallace und Patricia Highsmith und … äh … dieser Schwede.«). Danach wurde die Lesung zur Erleichterung von Publikum und Autor für beendet erklärt. Drei Damen, denen ich offenbar leidtat, ließen sich ihre Taxi in den Tod -Exemplare von mir signieren, danach verabschiedete mich Frau Lösler kühl und knapp. Beim Kaffee am Nachmittag hatte sie mir noch erzählt, wie sehr sie es genoss, mit den Autoren ihrer Krimitage nach der Lesung immer noch ein Glas Wein zu trinken und zu »fachsimpeln«. Ganz offensichtlich hielt sie mich für simpel, aber nicht für vom Fach. Ich war nicht der tolle Herr von Herbst. Ich war bloß ein Idiot, der zu bescheuert war, um bei einer Krimilesung aus einem Krimi vorzulesen.
    Ich kaufte mir am Kiosk, der sich an der Bushaltestelle gegenüber von meinem Gasthof befand, sechs große Dosen Bier und verkroch mich wie ein geprügelter Hund in mein Zimmer. Es war 21.30 Uhr, als ich den Hirschgeweihen über dem Schrank zuprostete. Ich rief Susann an und wollte getröstet werden, doch es sprang nur der Anrufbeantworter an. Mir fiel ein, dass Susann heute eine Lehrerkonferenz hatte und Nele bei einer Freundin übernachtete. Ich öffnete die nächste Bierdose.

    Als ich am nächsten Morgen im Zug zurück nach Hamburg saß, hatte ich mörderische Kopfschmerzen. Ich blätterte lustlos in der Zeitung und stieß auf das Foto eines völlig verknautschten und zerknitterten Saddam Hussein, den man irgendwo aus einem Erdloch gezogen hatte. Genau so, wie der Typ auf dem Foto aussah, fühlte ich mich.
    Mein Handy klingelte. Es war die Frau, die in meinem Verlag die Lesungen organisierte. Sie teilte mir mit, dass Frau Lösler angerufen und sich über mich beschwert habe. Sie sei nicht bereit, das vereinbarte Honorar zu überweisen, und ich solle froh sein, dass sie nicht die bereits gezahlten Reisekosten zurückfordere. Und außerdem … An dieser Stelle brach das Gespräch ab. 2004 war es noch verdammt schwierig, länger als eine Minute am Stück in einem fahrenden Intercity zu telefonieren. Das war eine der guten Dinge des Jahres 2004.
    Ich schaute aus dem

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