Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
sagte, musste sie es ernst nehmen. Was aber nicht zwangsläufig hieß, dass sie es abnicken musste.
»Aber er wird recht gut bezahlt, dieser Krimikram«, sagte sie daher. »Mit meinem Gehalt allein kommen wir nicht wahnsinnig weit. Kannst du nicht nebenbei, neben den Krimis, etwas finden, was dich erfüllt?«
»Ich weiß, was ich will«, sagte Piet. »Ich habe es gestern beschlossen.«
Susann sah ihn besorgt an. Piets ernster Gesichtsausdruck verhieß eine Ankündigung, die ihr nicht gefallen würde.
»Ich werde ein Buch über Bernhard schreiben«, sagte er. »Nur über ihn. Über sein Leben nach den Kirschkernspuckern. Über seine Zeit in Wuppertal. Seine Lebenslüge. Seine Sucht. Seinen Tod.«
»Eine bittere Geschichte«, sagte Susann. »Bist du sicher, dass du die Kraft dafür hast?«
»Ich muss das machen«, antwortete er. »Es ist wichtig.«
»Ich weiß nicht, ob …«, wandte Susann zaghaft ein.
»Ich werde eine Weile in Wuppertal verbringen. Spurensuche«, unterbrach Piet sie. »Ein paar Wochen. Vielleicht auch Monate. Ich will Leute finden, die ihn kannten. Eintauchen in Bernhards Welt …«
»Was? Ein paar Monate?! Das geht nicht«, rief Susann. »Wir brauchen dich hier. Was ist mit Nele? Was ist mit deinen Verpflichtungen?«
»Ich hab auch Bernhard gegenüber eine Verpflichtung. Und mir selbst gegenüber auch«, antwortete Piet, und seine Stimme nahm einen scharfen Ton an. »Ich muss das machen. Ich hab das Gefühl, mein Leben …«
»Aber du kannst das doch nicht einfach so beschließen! Alleine. Für dich. Das müssen wir doch besprechen. Wir sind eine Familie«, ereiferte sich Susann. »Ich hab ja viel Verständnis für deine ganze Sensibelchen-Nummer, aber irgendwann ist auch mal …« Sie unterbrach sich und biss sich auf die Zunge. Das hatte sie nicht sagen wollen. Sie meinte es nicht einmal. Es waren doch gerade seine Sensibilität, seine Tiefgründigkeit, seine Neugier auf die Welt, die sie so an ihm liebte. Aber manchmal war sein ewiges Hinterfragen einfach zu viel des Guten. Manchmal wollte Susann einfach, dass ihr Leben reibungslos verlief, ohne die Piet-typischen dramatischen Untertöne. Sie wollte, dass sie und Piet auch einmal keine grundlegenderen Dinge diskutieren mussten als Urlaubsplanung und ob sie das neue Auto kaufen oder leasen sollten.
Es war nicht nur Egoismus, dass sie ihm diese Idee ausreden wollte. Sie machte sich auch ernsthafte Sorgen um Piet. Seine Grübelei hatte in den letzten Wochen und Monaten einen selbstzerstörerischen Zug angenommen. Sie spürte das. Etwas brodelte in ihm, was ihm nicht guttat. Steckte er etwa in einer Midlife-Crisis? Aber warum konnte er die nicht so harmlos bewältigen, wie es andere Männer taten? Warum konnte Piet nicht einfach Extremsport machen oder sich ein Motorrad kaufen oder zu junge Frauen anflirten und einen Korb kassieren?
»So siehst du das also«, sagte Piet und ging aus dem Zimmer. Susann eilte ihm hinterher. »Piet«, versuchte sie einzulenken. »Lass uns reden, ja? Es tut mir leid, was ich da eben …«
»Es geht hier nicht um dich. Es geht um Bernhard. Ich schulde es ihm«, sagte Piet.
»Mensch, Piet!« Jetzt reichte es Susann, und sie sprach Tacheles. »Bernhard war ein Schulkind, als du ihn das letzte Mal gesehen hast! Du schuldest ihm gar nichts! Du romantisierst ihn. Er ist eine Fabelgestalt, ein Mythos. Und wegen dieses Mythos willst du unsere Familie jetzt …«
»Unsere Familie was? Zerstören? Verlassen? So ein Schwachsinn! Ich gehe nur nach Wuppertal, nicht ins Kloster«, zischte Piet. »Und wenn ich zurückkomme, werdet ihr ja wohl noch da sein, oder? Andere Familien sehen ihre Männer manchmal auch monatelang nicht. Und das mit Bernhard … Das verstehst du nicht! Du hast ja keine Ahnung!«
»Piet …«, versuchte Susann es noch einmal.
»Ich pack ein paar Sachen, und morgen fahr ich los«, sagte Piet.
»Morgen schon?«, fragte Susann entgeistert.
»Ja, morgen«, sagte Piet.
* * *
Es war ein seltsames Gefühl. Aufregend, beängstigend, schön. Sven und Jörn saßen in der Küche, beide den Blick aus dem Fenster gerichtet, auf die Straße, auf den Eingang zu ihrem Wohnhaus. Gleich würde sie kommen. Gleich würde sie gebracht werden, die kleine Peggy. Ihre Pflegetochter. Vier Jahre alt.
Sven und Jörn hatten das Kind, das von heute an für unbestimmte Zeit bei ihnen wohnen würde, erst zweimal gesehen. Das erste Mal war es nur eine Viertelstunde gewesen, in einem betreuten Wohnprojekt, in dem Peggy
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