Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
wahrscheinlich, um die Leut nicht zu ängstigen. Aber das wird sich schnell rumsprechen. Jedes Mauseloch werden sie dann durchsuchen. Und ich hab heute Nacht den Rat hier, verdammt!« Sie trat mit dem Fuß gegen die Wand, so dass der Putz herunterrieselte. Dann atmete sie durch und sah Kuisl mit ihrem einen Auge fest an.
»Ich hab dem Philipp versprochen, dass du hierbleiben kannst. Aber ich hab ihm nicht gesagt, wie lange. Es reicht schon, dass ich heute Nacht das Haus voll mit Ratsherren und Soldaten habe, während ein Ungeheuer in meinem Weinkeller wohnt.« Sie zögerte kurz, bevor sie weitersprach. »Für mich steht zu viel auf dem Spiel. Du kannst bis morgen bleiben, dann musst du weg. Ich pack dir ein paar Sachen ein, Kleider, Brot, was du eben so brauchst. Kannst du laufen?«
Jakob Kuisl nickte. »Wird schon gehen.«
Dorothea seufzte. »Sei mir nicht bös. Aber ich hab eine Tochter, und …«
»Hab auch eine Tochter«, murmelte der Henker. »Ich versteh das schon. Morgen bin ich fort.«
»Gut. Dann ist ja alles gesagt.«
DieKupplerin ging hinaus in den Keller und kam mit einem Stück kalten Braten und einem gefüllten Weinkrug zurück.
»Hier«, sagte sie. »Damit du wieder zu Kräften kommst. Die neuen Kleider kannst du gleich anziehen. Sind dir womöglich ein wenig zu klein, aber es wird schon gehen.« Sie warf ihm ein geschnürtes Bündel zu. »Leinenhemd, Hose und einfache Lederschuhe. Damit siehst du aus wie jeder x-beliebige Pferdeknecht. Deine alten Fetzen lass hier liegen, die schür ich ein.«
»Vergelt’s Gott.«
Jakob Kuisl griff nach dem Braten und biss gierig davon ab. Schweigend sah ihm die Dicke Thea beim Essen zu.
»Wie heißt denn deine Tochter?«, fragte sie schließlich.
Der Henker schluckte einen Brocken hinunter. »Magdalena. Ein echtes Teufelsweib. Wenn ich sie jemals wiederseh, versohl ich ihr den Arsch.«
Dorothea lächelte. »Solang du ihr nicht die Kehle durchschneidest.«
Gedankenverloren nahm die Kupplerin selbst einen Schluck aus dem mitgebrachten Weinkrug. »Sei nicht zu streng mit deiner Tochter«, sagte sie fürsorglich. »Heranwachsende Kinder sind wie junge Pferde. Wenn sie nicht laufen können, schlagen sie nach allen Seiten aus.«
»Deshalb muss sie sich aber nicht in dieser gottverdammten Stadt mit ihrem Liebsten herumtreiben und Mutter und Geschwister allein zu Haus lassen, das Drecksluder!« Jakob Kuisl wischte sich über den Mund. »Wahrscheinlich weinen sich die Kleinen grad die Seele aus dem Leib, während die feine Madame in Regensburg unterwegs ist.«
Er verschwieg, dass er vielmehr befürchtete, Magdalena könnte in den Händen irgendeines Wahnsinnigen sein. Jemand, der sie folterte, um sich an ihm zu rächen.
Dorotheapfiff leise durch die Zähne. »Diese Magdalena scheint ja ein ganz schön ausgefuchstes Biest zu sein. Was hat sie denn angestellt?«
»Na ja, im Augenblick versucht sie, mich vor dem Schafott zu retten«, murmelte Jakob Kuisl. »Ich hoff nur, dass ihr selber nichts passiert. Ihr und diesem windigen Kurpfuscher.«
Magdalena kauerte im untersten Keller der Katakomben und starrte missmutig auf die kleine flackernde Öllampe vor ihr.
Zuckende Schatten huschten über die uralten Mauersteine, auf deren Putz noch einige lateinische Buchstaben zu erkennen waren. Simon hatte ihr erzählt, dass an dieser Stelle einst die Römer eine Siedlung erbaut hatten. Auf ihren Ruinen war über viele Jahrhunderte die Stadt gewachsen, dann kam das jüdische Viertel und schließlich, nach der Vertreibung der Juden, der Neupfarrplatz mit seiner protestantischen Kirche. Hier tief unten, am Grunde der Stadt, glaubte Magdalena, das Herz Regensburgs schlagen zu hören, so laut, dass es ihr eigenes ängstliches Herzklopfen übertönte. An diesem Ort fühlte sie sich geborgen wie im Schoß der Mutter.
Die Mutter …
Magdalena schloss die Augen. Wie hatte sie sie bloß allein lassen können? Sie und die Zwillinge. Für einen billigen Traum, für ein Leben in dieser fremden Stadt. Sie hatte nur an sich gedacht, an sich und Simon, und nun war sie gescheitert. Ihr Vater vermoderte noch immer in der Regensburger Todeszelle, als Opfer irgendeines Komplotts. Schon bald würde ihn der Regensburger Scharfrichter zum Richtplatz schleifen, und sie und Simon würden zusehen müssen, wie ihm der Henker die Knochen brach. Was würde die Mutter sagen, wenn sie heimkehrte?
Konntesie überhaupt zurück?
Magdalenas Gedanken weilten bei Simon. Wo blieb er bloß? Ob er ihr
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