Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
und an der Wand entlangtaumelte. Doch damit war der Floßmeister außerhalb von Kuisls Reichweite, Lettner atmete tief durch und erwartete breitbeinig den nächsten Angriff. Verächtlich spuckte er aus und ließ den Katzbalger durch die Luft zischen, weiter hinten wälzte sich sein Bruder immer noch jammernd am Boden.
»Eine Drecksau mag ich sein«, flüsterte Philipp Lettner. »Aber kein Lügner. Ich hab mir deine Anna-Maria genommen wie der Stier die Kuh. Und was muss ich jetzt erfahren? Schon kurz nach unserem Stelldichein ist das hübsche Annerl schwanger. Was für ein Zufall!« Er leckte sich die Lippen und kicherte. »Schau dir deine Tochter doch mal an, Jakob! Warum sollte sie nicht von mir sein? Dieweichen Augen, die zottigen, ewig verfilzten Haare, der volle Mund. Sie hat so gar nichts von dir, findest du nicht?«
»Sie kommt nach ihrer Mutter«, presste Jakob Kuisl hervor, doch die Zweifel begannen sich bereits durch seinen Kopf zu fressen. Anna-Maria hatte den Namen ihres Heimatdorfs nie erwähnt, wohl auch deshalb hatte er ihn gänzlich vergessen. Er wusste, dass sie Grauenhaftes dort erlebt hatte. Aber wie grausam es wirklich gewesen war, was genau dort vorgefallen war, darüber hatte sie immer geschwiegen.
Sie hat geschmeckt wie eine süße, reife Zwetschge …
Blutrote Kreisel begannen vor Kuisls Augen zu rotieren.
Darf mich nicht von ihm reizen lassen , dachte er. Er will nur, dass ich die Kontrolle verliere … Aber warum war die Anna immer so schweigsam? Ihr trauriger Blick, wenn ich mein kleines Mädchen in den Schlaf gesungen habe … Darf mich nicht reizen lassen …
»Sie ist meine Tochter«, flüsterte der Henker monoton. »Meine Tochter, meine …«
»Mag sein, dass du recht hast«, unterbrach ihn Lettner. »Vielleicht ist sie gar nicht von mir. Vielleicht aber doch.« Er gluckste. »Weißt du, was komisch ist? Damals im Baderhaus hätt ich sie mit dem Quacksalber zusammen fast verbrannt, dabei wollt ich nur die Spuren verwischen. Hab mich oben im Dachboden versteckt, als jemand kam, und bin dann runter, um das Pack im Keller auszuräuchern. Bei Gott, ich wusste nicht, dass es Magdalena ist! Aber als mir der Venezianer am nächsten Morgen davon erzählt hat, hab ich mich richtig schlecht gefühlt.« Der Floßmeister lachte laut auf. »Ob du’s mir glaubst oder nicht, ich mag das Mädchen, ich spüre, dass sie mir nahe ist. Ich hätt sie ein Dutzend Mal umbringen können, aberich hab’s nicht gemacht. Weißt du, warum? Weil ich weiß , dass ich ihr Vater bin.«
»Niemals!«, zischte der Henker. »Du … du dreckiger Lügner!«
Philipp Lettner seufzte gekünstelt. »Ach, Jakob, warum denn so verbohrt? Einigen wir uns doch darauf, dass Magdalena zwei Väter hat. Das ist mehr als gerecht, findest du nicht?« Er kicherte, als er sah, wie Jakob Kuisl seine Faust so fest um den Griff des Säbels ballte, dass alles Blut aus den Fingern wich.
»Ich hab den Zweifel gesät, nicht wahr?«, zischte der Floßmeister. »Ich hab dir eine Wunde geschlagen, die niemals verheilt. Immer wenn du dein Töchterlein jetzt anschaust, wirst du auch mein Gesicht darin sehen. Das ist meine Rache. Und jetzt kämpf !« Wie ein Dämon rauschte Philipp Lettner auf den Henker zu, mit fletschenden Zähnen, den Arm mit dem Katzbalger weit vor sich ausgestreckt.
Kraftlos ließ Kuisl den Säbel sinken und erwartete mit leeren Augen den letzten, tödlichen Angriff.
»Wie lange brauchen wir denn noch bis zu dieser verfluchten Brunnstube?«, fragte Simon keuchend, während er mit Nathan durch den niedrigen Gang hetzte. »Vielleicht flößt dieser Wahnsinnige Magdalena schon jetzt das Mutterkorn ein!«
Wie bei ihrem letzten Besuch auf dem Wöhrd schlichen Bettler und Medicus durch den Tunnel, der die Insel mit der Stadt verband. Stinkendes Wasser stand teilweise knietief in der lehmigen Röhre. Immer wieder fielen einzelne Steinbrocken auf Simon herunter und erinnerten ihn daran, dass sich zwischen ihm und der Donau nur eine dünne Wand aus Kies, Lehm und Erde befand. Die gemauerteund mit Balken abgesicherte Decke machte einen mehr als baufälligen Eindruck.
Der Bettlerkönig eilte gebückt voraus. Er trug eine kleine Laterne, die wie ein Irrlicht auf und ab hüpfte und ihnen beiden den Weg wies; trotzdem stolperte Simon mehrmals. Plötzlich blieb sein Stiefel an einem halb im Boden vergrabenen Stein hängen, und er fiel vornüber in die braune, kalte Brühe. Grinsend blieb Nathan stehen und leuchtete dem
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