Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Medicus in das lehmverschmierte Gesicht.
»Wenn du dich weiter so anstellst, kommen wir nie an«, krächzte er, noch immer heiser vom Rauch des Mühlenbrands. »Die neue Brunnstube liegt südlich der Stadt in der Nähe des Galgenbergs, mitten zwischen den Feldern. Bis dahin ist es also noch ein ganzes Stück.«
»In der Nähe des Galgenbergs?«, entgegnete Simon, während er sich wieder aufrichtete und notdürftig seinen Rock abwischte. »Nicht gerade ein passender Ort für eine frische Quelle. Bist du dir wirklich sicher, dass wir Silvio dort auch finden?«
Nathan nickte und marschierte mit der Laterne weiter voran. »Ganz sicher. Die Brunnstube auf den Prüller Höhen ist erst ein paar Jahre alt. Sie speist den Brunnen am Haidplatz, den Bischofshof und vor allem das Rathaus. Wenn jemand den Reichstag vergiften will, dann ist er da genau richtig. Autsch!« Er hatte sich den Kopf an einem Steinzacken gestoßen, der aus der niedrigen Decke ragte, und taumelte weiter. »Außerdem ist unser schöner Venezianer dort absolut ungestört. Außer dem Brunnenwart hat keiner Zugang zu der Stube. Sie ist, soviel ich weiß, gut verriegelt und liegt tief unter der Erde. Dieser Silvio kann das Zeug also dort lagern und in ein paar Monaten einfach in das große Becken schütten.«
»Einperfektes Verlies, um jemanden die nächsten Tage und Wochen langsam mit Mutterkorn zu vergiften«, murmelte Simon. »Wir müssen uns beeilen!«
»Keine Sorge. Wenn du nicht ständig baden gehst, kommen wir auch rechtzeitig an«, lispelte Nathan.
Endlich hatten sie das Ende des Tunnels erreicht. Wie beim letzten Mal hing aus einem Loch in der Decke ein verfilztes Fischernetz, an dem sie wie an einer Strickleiter nach oben kletterten. Schließlich gelangten sie in die geräumige Truhe, die noch genauso nach Tran und Fisch stank wie vor ein paar Tagen.
Als Nathan den Deckel öffnete, strömte frische Luft in Simons Nase. Gierig sog er sie ein, bevor er durch die geöffnete Klappe nach draußen blickte. Um sie herum türmten sich weitere Fässer, Ballen und Kisten. Von fern waren Schreie und Rufen zu hören, gelegentlich schien jemand ganz in der Nähe an ihrem Versteck vorbeizugehen.
Nathan pfiff auf zwei Fingern, und schon kurze Zeit später anwortete ihm ein weiterer Pfiff. Der Bettlerkönig nickte zufrieden.
»Gute Jungs«, sagte er. »Hab ihnen gesagt, sie sollen hier auf mich warten. Die Männer werden sich freuen, dich wiederzusehen. Na ja, die meisten jedenfalls.«
Simon schluckte. Tatsächlich tauchten nach kurzer Zeit Hans Reiser, Bruder Paulus und zwei weitere Bettler hinter den Fässern auf. Sie grinsten und winkten, als sie Simon sahen. Hans Reisers Augen waren offenbar geheilt, er breitete die Arme aus und hieß den Medicus willkommen.
»Simon!«, rief er. »Einfach so zu verschwinden und dem König auch noch die Zähne auszuschlagen, das ist doch keine Art! Wo hast du denn Magdalena gelassen?«
»Wir haben jetzt keine Zeit für große Erklärungen«, zischteNathan. »Ich hab Simon und seinem Mädchen verziehen. Alles Weitere erzähl ich euch auf dem Weg.« Er sah sich suchend um. »Wo sind Zitterjohann und der Lahme Hannes?«
»Unten an der Schenke bei der Steinernen Brücke«, antwortete Hans Reiser. »Da gibt’s was zum Abgreifen. Die Mühle am Wöhrd brennt, die Leute gaffen und …«
»Ich weiß«, blaffte der Bettlerkönig. »Red nicht, sondern hol sie her. Wir treffen uns alle draußen vor dem Peterstor. Und jetzt los.«
Achselzuckend suchte Hans Reiser das Weite, während Simon mit den anderen vier Bettlern durch die Stadt eilte. Der Brand auf dem Wöhrd hatte sich mittlerweile herumgesprochen. Von überall rannten Menschen zur Floßlände, so dass die kleine zerlumpte Gruppe Schwierigkeiten hatte, in den engen Gassen voranzukommen. Wenigstens hielt sie keiner auf, auch auf Simon verschwendete niemand mehr als einen Blick.
Wie tröstlich, ich seh mittlerweile aus wie einer von ihnen , dachte er und blickte seufzend an seinem lehmverschmierten, nassen Rock hinunter. Wenn das hier vorbei ist, kann ich froh sein, wenn die Bettler mich unter dem Neupfarrplatz schlafen lassen und mir gelegentlich ein Stückchen Brot zustecken.
Schon nach kurzer Zeit hatten sie das Peterstor auf der anderen Seite der Stadt erreicht, wo noch immer die Karren einzelner Bauern durchsucht wurden. Nathan hatte den anderen Bettlern unterdessen erklärt, was in der Mühle geschehen war. Ein fröhliches Liedchen pfeifend wandte er sich nach
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