Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Sebastian Demmler aus einer Seitengasse neben dem Baderhaus eine Gestalt hervorhuschen. Sie war schwarz gekleidet wie die Nacht, so dass der Wächter nur einen dunklen Schatten wahrnahm, der schnell um die nächste Ecke verschwand. Kurze Zeit später taumelten zwei weitere Personen aus der gleichen Gasse. Diesmal schaute Sebastian Demmler genauer hin. Es waren ein Mann und eine Frau; der Mann war klein gewachsen, zierlich, mit weiten Hosen und eng tailliertem Rock, wie ihn die jungen Gecken neuerdings trugen. Demmler erkannte im Flammenschein einen schwarzen Spitzbart und ebenso dunkle Haare. Beim Anblick der Frau musste der Nachtwächter unwillkürlich schlucken. Ohne Frage war sie eine echte Schönheit, doch in ihrem schlichten grauen Rock, dem mit Ruß verschmierten Miederund dem kohlschwarzen Gesicht sah sie wie die Braut des Teufels persönlich aus.
Die Braut des Teufels?
Sebastian Demmler war kein sonderlich abergläubischer Mensch, aber das prasselnde Feuer, die tanzenden Schatten der Flammen und dieses verrußte Hexenweib weckten die schlimmsten Phantasien in ihm. Außerdem – sagte man nicht über den Teufel, er sei klein gewachsen, eitel und dem schönen Geschlecht zugetan? Zitternd drückte sich der Nachtwächter an die Hauswand, während die beiden Gestalten nur wenige Schritte von ihm entfernt in eine Seitengasse abbogen. Er versuchte sich ihre Gesichter genau einzuprägen. Bevor sie in der Dunkelheit verschwanden, konnte Demmler noch erkennen, dass der Mann hinkte.
Der Bockfuß des Satans! Heilige Mutter Maria, steh mir bei!
Der Nachtwächter schlug ein Kreuz und schwor, hundert Rosenkränze zu beten, wenn der Leibhaftige ihn nicht hier auf der Stelle mitnahm. Er hörte ein letztes Krächzen und Husten, dann herrschte Ruhe. Mit klopfendem Herzen beschloss Demmler, seinem Wachtherren am nächsten Tag Bericht zu erstatten. Er würde ihm exakt beschreiben, wie der Teufel und sein Weib ausgesehen hatten. Auch wenn Demmler bezweifelte, dass eine solche Beschreibung von Nutzen war.
Vermutlich hatte der Höllenfürst dann bereits eine andere Gestalt angenommen.
Hustend und keuchend stießen Simon und Magdalena die Tür zum ›Walfisch‹ auf und blickten in die entgeisterten Augen von etwa drei Dutzend Gästen. Gerade eben noch hatte in der Wirtsstube ausgelassene Stimmung geherrscht; Gelächter, Musik und das Scheppern von aneinandergeschlagenen Tonkrügen waren zu hören gewesen. Doch mit einem Mal wurde es so still wie auf einem Friedhof.
Nervös musterte der Medicus Magdalena und sich selbst, ob sie Zeichen einer ansteckenden Krankheit trugen. Erst jetzt stellte er mit Entsetzen fest, dass sie beide über und über voller Ruß waren. Simons heute Morgen noch weißes Leinenhemd hatte die Farbe verbrannten Holzes angenommen, die Brandlöcher waren so zahlreich, dass das Gewand beinahe auseinanderfiel. In Magdalenas verfilzten, teils angekokelten Haaren hingen Ascheflocken, nur ihre Augen leuchteten hell im verrußten Gesicht. Noch immer standen die Münder der Wirtshausgäste weit offen.
»Ein … ein Brand unten am Weißgerbergraben«, stieß der Medicus atemlos hervor. »Wir haben versucht zu helfen, aber das Feuer war einfach zu groß. Wir sind …«
Die restlichen Worte gingen im plötzlich einsetzenden Tumult unter. Gerade noch sturzbetrunkene Gäste sprangen auf und riefen wild durcheinander; einige versuchten gleichzeitig durch die Tür zu kommen, wo immer noch Simon und Magdalena standen. Mit der Menge wurden sie beide nach draußen gedrückt und starrten dort gemeinsam mit den anderen auf den hellen Feuerschein im Westen der Stadt. Von überall her läuteten nun die Glocken. Simon vernahm ein Geräusch wie das Summen wütender Bienen. Erst nach einiger Zeit wurde ihm bewusst, dass es das Geschrei vieler Menschen war.
O Gott, ist das wirklich das Feuer, das im Baderhaus angefangen hat? , dachte er. Wie viele Häuser mögen schon brennen?
Er zog Magdalena am Ärmel. »Lass uns lieber etwas Wasserbesorgen. So wie wir aussehen, könnte man fast glauben, wir hätten was mit diesem Brand zu tun.«
Magdalena nickte. Sie warf einen letzten fassungslosen Blick auf das orangefarbene Leuchten über der Stadtsilhouette, dann ging sie mit Simon hinein in die mittlerweile fast leere Wirtsstube. In der Ecke neben dem Kaminofen lümmelte noch immer der Venezianer, genauso wie sie ihn vor Stunden verlassen hatten. Silvio Contarini machte einen mehr als angeheiterten Eindruck, seine schwarze
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