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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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gelernt hat. Die eigenen Männer haben Angst vor ihm, sie folgen seinen Befehlen und senken den Kopf, wenn er an ihnen vorbeischreitet; sie bewundern ihn, wenn er in erster Reihe wie der Leibhaftige auf den Feind zustürmt.
    Manchmal jedoch steht er danach auf dem rauchenden Schlachtfeld zwischen all den verkrümmten, blutigen Leibern und weint.
    Es ist ein Schnitter, der heißt Tod …
    Jakob ist aus Schongau weggegangen, um nicht das blutige Handwerk des Scharfrichters auszuüben. Um nicht wie sein Vater zu werden.
    Doch Gott hat Jakob wieder an seinen Platz gestellt.
    Ein Geräusch riss den Henker jäh aus seinen Gedanken. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, doch das Zwitschern der Vögel zeigte ihm, dass es bereits Morgen sein musste. Die Kerkertür hatte sich knarrend geöffnet, und der Schemen eines Mannes war in der Türöffnung zu sehen. Im Licht einer flackernden Fackel, die hinter ihm an der Wand hing, wuchs der Schatten ins Überlebensgroße, bis er den gesamten Raum auszufüllen schien.
    Jakob Kuisl wusste, wer vor ihm stand, noch bevor der andere zu sprechen begann.

6
    Regensburg, am frühen Morgen
des 20 . August anno domini 1662
    D ie Dirne Katharina lag am Boden ihrer dunklen Kammer und schob den haarigen Arm weg, der wie eine Spinne über ihr Gesicht krabbelte. Sie fühlte ihn ganz deutlich, doch jedes Mal, wenn sie die Augen öffnete, war da nichts außer ihrer eigenen Hand. Sie hielt sie dicht vor ihr Gesicht und bewegte die einzelnen Finger, bis sie sich in schwarze Insektenbeine verwandelten, die mit feinen Härchen übersät waren. Schreiend schlug Katharina sich auf die Stirn, immer und immer wieder.
    »Geh weg! Geh endlich weg!«
    Doch die Spinnenbeine krabbelten über ihren Hals, weiter nach unten, bis sie schließlich ihren Schoß erreichten, wo sie endlich innehielten.
    Ein Quietschen holte sie zurück in die Wirklichkeit. Die Klappe in der Tür öffnete sich, und ein Tablett mit Brot, Dörrbirnen, Honig und Eiern wurde hereingeschoben. Katharina nahm das Tablett und schleuderte es so heftig an die Wand, dass die Eier zerplatzten und gelber Dotter an den gekalkten Wänden herunterrann.
    »Friss dein Zeug doch selber!«, schrie sie. »Ich will raus hier! Hast du mich gehört? RAUS !«
    Das Auge starrte kühl auf sie herab.
    » LASS MICH RAUS!!! «
    Schweigenund Starren.
    »Du verfluchter Satan!«
    Katharina rannte auf die Tür zu und stach mit ihrem rechten Zeigefinger in das Loch, doch das Auge war bereits verschwunden. Sie trat gegen das massive Holz, hämmerte mit den Händen dagegen und schrie, wie sie noch nie geschrien hatte.
    »Drecksau! Teufel! SATAN !!!«
    Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass hinter ihr jemand stand. Sie drehte sich um und glaubte, einen Schatten über den Boden huschen zu sehen. Er hatte die Gestalt eines buckligen Mannes und trug einen Schwanz und zwei Hörner auf dem Kopf. Katharina nahm ihre Faust in den Mund und biss so heftig darauf, dass ein feiner Blutfaden über ihre bleiche Haut rann.
    Ich werde wahnsinnig …
    Ihr Schreien ging in ein Wimmern über, schließlich rutschte sie an der Wand zu Boden und blieb neben dem achtlos hingeworfenen Tablett liegen. Der Duft von frischem Brot drang ihr betörend in die Nase. Mit einem Mal spürte sie, wie hungrig sie war.
    Sie griff nach dem warmen Laib. Hastig pflückte sie das weiße Innere heraus und begann, die noch dampfenden Krumen in sich hineinzustopfen. Vielleicht würden mit dem Hunger auch die Schatten und Träume verschwinden.
    In ihrer Gier bemerkte sie nicht, dass das Auge erneut auf sie herabglotzte. Kühl und mitleidlos.
    »Ich hab dich schon erwartet«, brummte Kuisl, während er sich vom Kerkerboden erhob und dem anderen mit gekrümmtem Rücken die Hand reichte. Die Decke war so niedrig, dass er sich zum wiederholten Mal den Kopf stieß.Durch die geöffnete Kerkertür war das erste Licht des Morgens zu sehen. »Schad nur, dass wir uns auf diese Weise kennenlernen müssen.«
    Der Händedruck des Regensburger Scharfrichters war fest wie ein Schraubstock; harte, verhornte Schwielen gaben Kuisl das Gefühl, die Borke einer alten Eiche zu umfassen. Es knackte in seinen Knöcheln, doch er hielt dem Druck stand.
    »Gottes Wege sind unergründlich, werter Vetter«, knurrte sein Gegenüber. Wie es unter Henkern Brauch war, sprach er den anderen als Familienmitglied an. Die meisten Scharfrichter waren ohnehin über mehrere Ecken miteinander verwandt.
    Der Regensburger Henker trat zur Seite und winkte

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