Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
glaubt.« Er wandte sich an Simon und musterte dessen blaues Auge, die letzte Erinnerung an die Schlägerei in Schongau. »Und?«, fragte er. »Bist du nun der Teufel? Wenn ich dich so anschau, wohl eher ein Teufelchen, das der Beelzebub verhauen hat.«
Die Männer am Tisch grölten, und Simon schwieg. Zum wiederholten Male verfluchte er sich, dass er überhaupt hergekommen war. Wie sollten ihm diese verrückten, zerlumpten Kreaturen helfen, mehr über den Mord am Bader und seiner Frau herauszufinden? Er wollte sich schon vorsichtig zurückziehen, als der Anführer der Horde seine Hand hob und das Gelächter schlagartig verstummte. Grinsend streckte der Mann seine schmutzigen Finger aus und reichte sie Simon zum Gruß.
»Wie unhöflich von mir«, sagte er beinahe unterwürfig. »Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Man nennt mich Nathan den Weisen. Ich bin der König der Regensburger Bettler, der Herr über das Reich der Nacht und über dieses wundervolle Zunfthaus.«
Er machte eine theatralische Handbewegung, was einige der Umstehenden kichern ließ. Der Bettler ließ Simon einige Zeit sich umzuschauen, bevor er weitersprach.
»Was du hier siehst, ist nur ein kleiner Teil unserer kleinen eigenen Stadt. Früher befand sich über uns das jüdische Viertel, doch meine Glaubensbrüder wurden schon vor langer Zeit aus Regensburg vertrieben. Ihre Häuser wurden geschleift, ihre Besitztümer geraubt. Alles, was geblieben ist, sind diese wunderschönen, miteinander verbundenenKeller, die uns heute als Zunfträume dienen.« Er deutete auf einige der dreckstarrenden Gestalten, die im Hintergrund an den Wänden vor sich hin dösten. Dabei setzte er ein Lächeln auf, so dass seine goldenen Zähne im Licht der Fackeln schimmerten.
»Jeder, der in Regensburg bettelt, gehört unserer Zunft an«, fuhr Nathan fort. »Er leistet täglich seine Abgaben, dafür genießt er unseren Schutz, bekommt ein Dach über dem Kopf und wird gepflegt, wenn er krank ist. Wir sind unsere eigenen Herren, so wie in jeder anderen Zunft auch.«
Der König der Bettler führte Simon zu dem großen Eichentisch, wo sich eine äußerst merkwürdige Gesellschaft eingefunden hatte. Die Runde der zerlumpten, verdreckten Männer mit ihren Weinkrügen und verschimmelten Brotresten wirkte wie das verzerrte Bild einer honorigen Tischgesellschaft. »Vielleicht hast du ja mit dem einen oder anderen meiner Ratsherren in den letzten Tagen schon Bekanntschaft gemacht?«, fragte Nathan und deutete auf den Mann neben ihm, der eine Mönchstonsur trug und in eine aschfarbene Kutte gehüllt war. »Das beispielsweise ist Bruder Paulus, er sammelt Almosen für unsere Kirche, auch wenn er nie ein Gelübde abgelegt hat und sich sonst eher aufs Saufen und Huren versteht. Und das hier …« Nathan zeigte auf ein gekrümmtes Männchen ohne Zähne, dem ein Speichelfaden aus dem verzerrten Mund hing und das wie ein Derwisch mit Armen und Beinen zuckte. »Das ist der Verrückte Johannes, der auf Wunsch auch Veitstänze aufführt. Gegen Aufpreis, versteht sich …« In einer fließenden Bewegung verwandelte sich das Männchen in einen aufrecht stehenden, normal aussehenden Mann, der eine höfliche Verbeugung andeutete und die Hand aufhielt.
»MeineWenigkeit«, sagte Nathan, »hatte als getaufter Jude in seinen jungen Jahren so manchen großen Bühnenauftritt. Mittlerweile habe ich mich allerdings vom aufregenden Vagabundenleben zurückgezogen.« Er seufzte. »Ich komme vor lauter Papierkram kaum noch zum Betteln. Nun ja …« Er winkte Simon an den Tisch und goss ihm ein Glas Rotwein ein. »Du hast einem von uns geholfen, also werden wir auch dir helfen. Was können wir für dich tun?«
Simon nippte an dem Rotwein, der erstaunlich gut schmeckte.
»Der Mord an dem Bader und seiner Frau gestern früh«, sagte er schließlich. »Wisst ihr, wer dahintersteckt?«
Nathan verzog angewidert sein Gesicht, so dass man die goldenen Schneidezähne glitzern sehen konnte. »Eine hässliche Sache, viel Blut, wie ich gehört habe. Sie haben gleich darauf diesen auswärtigen Henker eingesperrt, aber das weißt du ja bereits. Ob er’s war oder jemand anders, kann ich dir nicht sagen.« Er beugte sich verschwörerisch zu Simon hinüber. »Ich weiß nur, dass der Bader in Dinge verwickelt war, die einen ins Unglück stürzen können.«
Der Medicus runzelte die Stirn. »Was meinst du?«
»Nun, der Hofmann hat mit Männern paktiert, die in der Stadt mächtige Feinde haben. Sehr mächtige,
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