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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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hin, die schmale Luke offen gelassen, so dass die verschiedenen Kritzeleien im Dämmerlicht zu erkennen waren. Kuisl erkannte Sprüche und Namen, darunter auch etliche Initialen. Die wenigsten Gefangenen konnten ihren ganzen Namen schreiben, viele unterzeichneten ihr Geständnis allein mit einem Kreuz oder einem einzigen Buchstaben. Ihr letzter Gruß an die Welt waren deshalb oft nur ein paar Striche und Kreise, mühsam über viele Stunden hinweg in das Holz geritzt.
    Kuisl las Buchstaben und Jahreszahlen. D.L. Jänner 1617 , J.R. Mai 1653 , F.M. März 1650 , P.F.K. Weidenfeld, anno domini 1637  …
    P.F.K. Weidenfeld, anno domini 1637 ?
    Der Henker stutzte. Etwas in ihm klopfte an sein Bewusstsein, doch es war noch zu verschwommen, um Gestalt anzunehmen. War das möglich?
    P.F.K. Weidenfeld, anno domini 1637  …
    Kuisl versuchte sich zu konzentrieren, als plötzlich Schritte auf dem Gang zu hören waren. Der Riegel öffnete sich, und eine der Wachen trat herein.
    »Dein Fraß, Sauhund.« Der Soldat schob ihm eine Holzschüssel hin, in der in einer grauen Brühe einige undefinierbare Brocken schwammen. Abwartend blieb der Mann stehen. Als Kuisl nicht reagierte, räusperte der Büttel sich kurz, dann bohrte er in der Nase, als würde irgendwo in seinem Kopf ein fetter Wurm sitzen.
    »Der Henker hat mir gesagt, ich soll die Schüssel gleich wiedermitnehmen«, nuschelte er schließlich. »Und den Papierkram auch.«
    Jakob Kuisl nickte. Der Regensburger Scharfrichter hatte ihm wie versprochen Papier, Tinte und Feder zukommen lassen. Bis jetzt war Kuisl sich nicht im Klaren darüber gewesen, was er seiner Tochter eigentlich schreiben wollte. Er hatte gehofft, hier in der Zelle irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen zu können, die Magdalena draußen überprüfen konnte. Doch die verfluchten Erinnerungen an den Krieg hatten ihn immer wieder abgelenkt. Jetzt plötzlich war da eine vage Ahnung, vermutlich nur ein Hirngespinst. Trotzdem hielt Kuisl es für wert, dem Verdacht nachzugehen, gerade jetzt, wo die Zeit drängte.
    »Wirst noch ein Weilchen warten können«, knurrte der Henker. Er holte das Schreibzeug und den Zettel hervor und kritzelte einige Zeilen darauf, während der Wachsoldat ungeduldig mit den Fingern gegen die Tür trommelte. Schließlich faltete Kuisl das Papier zusammen und reichte es dem Büttel. »Hier. Und die Suppe nimm wieder mit und gib sie den Schweinen.«
    Der Henker gab der dampfenden Schüssel einen Tritt, so dass sie in den Gang hinausflog und scheppernd liegen blieb.
    »Du … du wirst dich noch nach so einer leckeren Suppe sehnen!«, schimpfte der verdutzte Wachmann. »Wimmern wirst und beten, wenn der Teuber dich mit glühenden Zangen zwickt. Verrecken sollst, verfluchter Bayer! Ich werd beim Rädern ganz vorn am Schafott stehen.«
    »Ja, ja, ist schon gut. Und jetzt schleich dich«, knurrte Jakob Kuisl.
    Der Büttel schluckte seinen Zorn hinunter und begab sich zur Tür. Kurz bevor der Soldat den Riegel schloss, richtete sich Kuisl noch einmal auf.
    »Ach, und falls du vorhast, den Brief nicht abzugeben«, meinte der Schongauer Henker beiläufig. »Ich sorg dafür, dass der Teuber dir ganz langsam die Knochen bricht. Er mag’s nämlich nicht, wenn man ihn hintergeht. Hast mich?«
    Die Tür fiel krachend zu, und der Büttel entfernte sich maulend. Jakob Kuisl tauchte wieder ein in eine Welt des Krieges, des Mordens und der Schmerzen. Er starrte auf die Initialen an der Wand und versuchte sich zu erinnern.
    P.F.K. Weidenfeld, anno domini 1637  …
    Die Buchstaben nagten an seinem Unterbewusstsein. Eine Ahnung nur, ein Bild aus einer fernen Zeit, aus einem anderen Leben.
    Das Lachen der Männer, das Knistern der brennenden Dächer, ein langer, klagender Laut, der plötzlich erstirbt … In Jakobs Hand ruht das Schwert wie eine Sense …
    Kuisl war sich sicher: Hätte er nur eine Unze Tabak bei sich, das Bild würde im Rauch der Pfeife Gestalt annehmen.
    Draußen auf dem Gang knetete der Wachsoldat den zusammengefalteten Brief zwischen den Händen und schimpfte leise vor sich hin. Was glaubte dieser Sauhund von Henker eigentlich, wer er war? Der König von Frankreich? Noch nie hatte ein Eingekerkerter so mit ihm geredet. Noch dazu einer, der vermutlich schon bald auf dem Schafott endete. Was bildete sich dieser Bayer eigentlich ein!
    Der Büttel dachte nach über die letzte Drohung Jakob Kuisls. Tatsächlich hatte der Regensburger Scharfrichter ihn in die Zelle geschickt, um diesen

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