Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
bewusst, dass sie nach der gestrigen Nacht ziemlich streng riechen musste.
»O Gott, ich kann das nicht …«
»Nun kommt schon!« Silvio schob sie in das Innere der kostbar möblierten Gaststube, wo an runden Kirschholztischen zumeist ältere Männer saßen, mit auffällig jungen Damen an der Seite. Der Venezianer fand zwei freie Plätze, schnippte mit den Fingern, und nur kurze Zeit später reichte ihnen eine adrett gekleidete Magd unter mehrmaligenVerbeugungen eine dampfende Kanne Kaffee und zwei Gläser.
»Soweit ich weiß, ist dies das erste Kaffeehaus im Deutschen Reich«, sagte der Venezianer und schenkte Magdalena das Glas randvoll. »Jedenfalls habe ich von keinem anderen gehört. Und glaubt mir, ich wüsste davon.« Er schlürfte genießerisch. »Wenn Euer Freund ebenso gerne Kaffee trinkt wie ich, dann ist es also gut möglich, dass wir ihn hier finden.«
Magdalena ließ ihren Blick über die Gäste schweifen, obwohl sie von vornherein wusste, dass es vergeblich war. »Unsinn!«, zischte sie. »Woher soll mein Simon denn von diesem Kaffeehaus wissen?«
Der Venezianer zuckte mit den Schultern. »Sei’s drum. So lernen wir uns wenigstens besser kennen.«
Schmunzelnd nahm Magdalena einen Schluck von dem heißen, belebenden Getränk.
»Ihr habt das so eingefädelt, gebt es zu. Ihr wolltet nur mit mir alleine sein.«
»Wäre das ein Verbrechen?«
Die Henkerstochter seufzte. »Ihr seid unverbesserlich! Aber nun gut.« Sie beugte sich zu dem Venezianer hinüber. »Erzählt mir von Euch. Wer seid Ihr?«
»Sagen wir, ich bin in diesem Haus ein gern gesehener Stammgast, der immer brav seine hohen Rechnungen zahlt«, sagte Silvio grinsend. Schnell wurde seine Miene wieder ernst.
»Diese Stadt ist sehr wichtig für la vecchia Venezia , müsst Ihr wissen«, fuhr er fort. »Vor allem jetzt, wenn die Gesandten aus aller Welt schon bald beraten, wie man gegen die Türken vorgehen soll.« Andächtig hob er sein Glas in die Höhe. »Die Muselmanen haben uns zwar dieses herrliche Getränk geschenkt, aber leider wollen sie uns auchmit ihrem Glauben beehren. Also hat mein Doge in seiner unendlichen Weisheit verfügt, dass ich als sein ständiger Stellvertreter in der mächtigsten Stadt des Deutschen Reichs residieren darf.«
» Ihr seid der Gesandte Venedigs in Regensburg?«, hauchte Magdalena. »Aber wieso wohnt Ihr dann im ›Walfisch‹? Ich meine …«
Silvio winkte ab. » No, no , ich wohne dort nicht. Ma come si dice … die Langeweile!« Er rollte theatralisch die Augen. »Immer nur diese herausgeputzten Gesandten, das ewig gleiche Gerede, ah, die Politik! Schon heute Abend muss ich wieder einen dieser nichtssagenden Bälle geben.« Wie zum Gebet faltete Silvio die Hände. » D’una grazia vi supplico, signorina ! Erweist mir auf dem Ball die Ehre Eurer Gesellschaft. Sie wird der einzige Lichtblick in diesen tristen Stunden sein! Ihr seid meine Rettung!«
Magdalena lachte, doch ganz plötzlich blieb ihr das Lachen im Halse stecken.
An einem der Nachbartische hockte ein Mann in einem schwarzen Mantel. Er hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, trotzdem war sich die Henkerstochter sicher, dass er zu ihnen herüberschaute. Im Gegensatz zu den anderen Gästen rauchte der Fremde weder Pfeife, noch trank er ein Glas Kaffee. In sich zusammengekauert verharrte er auf seinem Stuhl, als wäre er mit ihm verwachsen.
»Der Mann uns gegenüber«, flüsterte sie, während sie sich zu einem eisigen Lächeln durchrang, um sich nicht verdächtig zu machen. »Seht nicht hin. Aber ich glaube, er beobachtet uns.«
Silvio zog die Brauen hoch. »Seid Ihr Euch sicher?«
»Glaubt mir, ich hab da mittlerweile einige Erfahrung. Dieser Fremde ist in meinem Leben nicht der Erste, der mir auflauert.«
»Wenndas so ist …« Der venezianische Gesandte legte ein paar silberne Münzen auf den Tisch und stand langsam auf. »Wir werden den Hinterausgang benutzen. Wenn er uns folgt, wissen wir zumindest, dass Ihr recht habt.«
Unter freundlichem Nicken und Grüßen durchquerte er mit Magdalena den überfüllten Raum, bis sie zu einer unscheinbaren Tür kamen, die zu einer Stiege ins obere Stockwerk führte. Sie hasteten hoch, rannten einen dunklen Flur entlang und erreichten schließlich an dessen Ende eine winzige Pforte, die eher einem Fenster glich. Silvio drückte die Klinke und schob Magdalena hinaus auf einen baufälligen Balkon. Eine Leiter reichte hinunter in einen verwinkelten Hinterhof, der mit alten Kisten und
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