Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
ersten Mal in voller Größe. Der Mann war hager, seine Arme und Beine wirkten auf fast unnatürliche Art zu lang für den Körper, der in einem schwarzen Mantel und einer weißen Tunika steckte. Er ging leicht gebückt, so als drückte ein unsichtbares Gewicht auf seine Schultern. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, mit krummem Rücken und pendelnden Armen wirkte er wie ein eifriger schwarzer Käfer, der seinem Bau entgegenkrabbelte. Der Mann war ohne Zweifel ein Mönch, wenngleich Magdalena auch nicht sagen konnte, von welchem Orden. Vorsichtig heftete sie sich an seine Fersen.
Wegen des Schnees war der einzig begehbare Weg ein Trampelpfad, auf dem gerade einmal zwei Menschen nebeneinander Platz hatten. Der Fremde hatte es eilig, er überholte vermummte Ratsherren und Mägde mit gefüllten Körben; einmal versetzte er einem Bauern, der einen störrischen Ochsen zum Metzger zerrte, einen Schubs, so dass dieser fluchend neben dem Tier im Schnee landete. Ohne weiter auf ihn zu achten, ging der Fremde weiter. Magdalena hatte Mühe zu folgen, auch sie drängelte sich an schimpfendenMenschen vorbei oder wich links und rechts der Schneise in den kniehohen Schnee aus. Bald waren ihre Schuhe und Strümpfe durchweicht. Gerne hätte sie das Gesicht des Mannes gesehen, doch er trug noch immer seine Kapuze und drehte sich auch kein einziges Mal zu ihr um.
Im Grunde ihres Herzens hoffte Magdalena, dass er niemals seinen Kopf zu ihr wenden würde. Wahrscheinlich wäre dies sonst ihr sicherer Tod gewesen.
Weiter vorne am Marktplatz wurden die Wege breiter. Marktfrauen, gehüllt in dicke Schichten aus Unterröcken, bauten Stände für den Wochenmarkt auf. Der Mönch marschierte zwischen ihnen hindurch, ohne nach links und rechts zu sehen. Schließlich konnte Magdalena erkennen, worauf er zusteuerte.
Auf die Domburg.
Die Henkerstochter runzelte die Stirn. Philipp Hartmann hatte ihr gestern während des Schneesturms kurz die Geschichte der Reichsstadt und damit auch der Domburg erzählt. Das Zentrum Augsburgs war eine eigene kleine Stadt, umgeben von einer Mauer mit Toren. Früher war dort die erste Siedlung der Römer gewesen, die in der Nähe des Lechs ein Militärlager errichtet hatten. Mittlerweile standen an jener Stelle die Gebäude des Bischofs, der Dom, der Bischofspalast – aber auch die Häuser der wohlhabenderen Handwerker hatten hier ihren Platz. Was konnte Koppmeyers Mörder dort verloren haben?
Links und rechts des Tores lehnten gelangweilt zwei in teure Tücher gehüllte Wachen des Bischofs, mit Hellebarden bewaffnet. Als der Mönch an ihnen vorüberschritt, salutierten sie kurz und träumten dann weiter von Gewürzwein und warmen Lebkuchen. Magdalena hielt inne. Der Mann hatte die Domburg betreten, ohne angehalten zu werden! Fast hatte es so ausgesehen, als würden ihn die Wachen erkennen. War das möglich?
Sie hatte keine Zeit, weiter nachzudenken. Wenn sie denFremden nicht aus den Augen verlieren wollte, musste auch sie an den Wachsoldaten vorbei. Sie schloss kurz die Augen, schlug ein Kreuz, dann näherte sie sich mit breitem Lächeln dem Tor. Die beiden Büttel sahen sie misstrauisch an.
»Wohin?«, brummte der eine. Es klang nicht wirklich interessiert, eher so, als wäre er verpflichtet, diese Frage zu stellen. Lächelnd hob Magdalena den Beutel mit Kräutern, den sie noch immer unter ihrem Mantel verwahrte, und zeigte ihm der Wache. Mit einer gewissen Genugtuung bemerkte sie, dass auch das kleine Ledersäckchen mit den Gulden des Augsburger Henkers noch an ihrer Seite hing. Sollte sie die Spur des Fremden verlieren, hatte sie immerhin ein gutes Geschäft gemacht. Geschah diesem gnomenhaften Apotheker nur recht! Was musste er auch Gift an Meuchelmörder verkaufen?
»Kräuter vom Apotheker Biermann«, sagte sie in Richtung der Wachen und zog einen Schmollmund. »Salbei und Kamille. Der Prior hustet sich die Seele aus dem Leib.«
Der Soldat warf einen kurzen Blick in den Beutel, dann ließ er sie mit einem Kopfnicken passieren. Erst als Magdalena an ihm vorüber war, stutzte er.
»Merkwürdig«, wandte der Soldat sich an seinen Kollegen. »Dabei hat der Prior doch heute früh noch kerngesund ausgesehen. Für eine Strafpredigt hat’s allemal gereicht. He, Mädchen!« Doch als er sich umwandte, war die Henkerstochter bereits hinter der nächsten Ecke verschwunden.
Magdalena hatte Mühe, den Fremden wiederzufinden. Die Gassen, in denen sich die Häuser der Gold- und Silberschmiede an die der Graveure
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