Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
stieg Panik in Magdalena hoch. Was hatte dieser Wahnsinnige vor? Wollte er sie auf dem Altar opfern? Waren deshalb die Kerzen entzündet? Eine weitere Bibelstelle fiel ihr ein.
Gott sprach zu Abraham: Nimm deinen Sohn Isaak, den du liebst, und bring ihn auf dem Berge als Opfer dar...
Der monotone Gesang des Mönchs schwoll an und erreichte eine höhere Tonart, er intonierte jetzt in einer kreischenden Fistelstimme. Magdalena kämpfte die Furcht in sich nieder und zwang sich, ruhig zu atmen. Vielleicht konnte sie es ja auch kriechend durch die Tür schaffen? Robbend, kriechend, hüpfend – egal, nur weg von hier. Mit rollenden Bewegungen schob sie sich auf die linke Seite des Altars zu. Nur noch wenige Zentimeter, dann hatte sie es geschafft. Sie spürte die Kante bereits unter sich, sie kippte, sie fiel …
Und streifte mit den Füßen einen der großen Kerzenständer , der laut scheppernd zu Boden stürzte.
Der Gesang hörte abrupt auf. Schritte ertönten, nur einen Moment später stand Bruder Jakobus mit gezücktem Dolch über ihr. Magdalena schrie, als der Dolch niederfuhr.
»Halt deinen Mund, dummes Weib. Keiner tut dir was.«
Der Mönch schnitt ihre Handfesseln durch und trat einen Schritt zur Seite.
»Wenn du versprichst, still zu sein, schneide ich dir auch die Fußfesseln durch. Versprichst du das?«
Magdalena nickte, nur kurze Zeit später war sie frei. Mit wackligen Beinen stand sie auf und bewegte ihre Gliedmaßen, doch schon bald merkte sie, dass sie zum Stehen noch zu schwach war. Ihr wurde schwarz vor Augen. Schwer atmend ließ sie sich auf einer der Kirchenbänke nieder.
»Das macht das Gift«, sagte Bruder Jakobus und setzte sich in die Bank daneben. »Eine Mischung aus Schlafmohn und ein paar seltenen Nachtschattenpflanzen. Du wirst dich noch eine Weile schwach fühlen, doch das geht vorüber.«
»Wo ... wo bin ich?« Magdalena rieb ihre Handgelenke, in denen sich ein stechendes Kribbeln wie von Ameisen breitmachte.
»Das hat dich nicht zu interessieren«, sagte der Mönch. »Dies ist ein Ort, an dem uns sicher keiner stören wird. Die Wände sind dick, und durch das Fenster dringt kein Laut nach draußen. Ein wunderbarer Ort, um zu Gott zu finden.«Er ließ seinen Blick über das prächtige Deckengemälde schweifen. »Aber keine Angst, zurzeit bist du nur unsere Sicherheit, dass dein Vater uns nicht ins Handwerk pfuscht, und später ... « Er sah ihr direkt ins Gesicht. Seine Augen bekamen plötzlich etwas Weiches, wieder wehte der süße Duft von Parfum zu ihr herüber.
»Magdalena ... «, seufzte er. »Ich verbinde viel mit diesem Namen.«
Eine lange Pause trat ein.
»Du kennst doch Maria Magdalena, die Frau an der Seite des Heilands?«, fragte er unvermittelt. »Die Heilige der Huren und Ehebrecherinnen, eine Aussätzige wie du …«
Sie nickte. »Mein Vater hat mich nach ihr benannt.« Ihre Stimme klang vom langen Schweigen seltsam fremd und krächzend.
»Dein Vater ist ein kluger Mann, Magdalena. Ein ... Prophet, möchte man meinen.« Bruder Jakobus lachte und kam näher. Sein hagerer, krummer Körper neigte sich nach unten wie eine Vogelscheuche im Wind, mit langen Fingern strich er an ihrem Gewand entlang. Magdalena sah, dass seine Hände so feingliedrig waren wie die einer Frau. »Heilige Maria Magdalena ...«, flüsterte der Mönch. »Du bist tatsächlich wie deine Namenspatronin. Schön und klug, aber verstoßen. Eine dreckige Henkerstochter, der Abschaum der Stadt. Eine Hure, keusch im Gebet, die sich heimlich den fleischlichen Lüsten hingibt.«
»Aber …«
»Schweig!« Mit einem Mal wechselte die Stimme des Mönchs wieder in eine schrille Lage. »Ich kenne Weiber wie dich nur zu gut! Und hab ich dich nicht mit diesem Medicus gesehen? Also lüg nicht, Evastochter!«
Er schloss die Augen und atmete tief durch, schließlich hatte er sich wieder beruhigt.
»Aber du bist gläubig, das spüre ich«, sagte er und legte ihr die Hand auf die Stirn, als wollte er sie segnen. »In dirsteckt ein guter Kern, ihr Weiber seid nicht alle schlecht. Sogar Maria Magdalena ist zu einer Heiligen geworden. Und auch du kannst gerettet werden.« Er sprach jetzt sehr leise, so dass Magdalena Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen.
»Kennst du die Bibel, Henkerstochter?«
Noch immer hielt er seine Hand auf ihrer Stirn. Magdalena beschloss zu schweigen, der Mönch redete weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Lukas, Kapitel 8, Vers 1. Jesus reiste mit einigen Frauen, die er von bösen
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