Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
ab, die, wie sie irgendwann begriff, von Geschwüren herrühren mussten. Magdalena sah, dass Jakobus’ Tonsur nicht von Hand geschnitten war; dem Mönch waren schlicht die Haare in der Mitte der Kopfhaut ausgefallen.
Bruder Jakobus schien sich von innen her aufzulösen.
Die Henkerstochter erinnerte sich, dass sie diese Merkmale schon einmal bei einem Genueser Händler gesehen hatte, der ihren Vater vor einigen Jahren aufgesucht hatte. Unter offenbar grauenhaften Schmerzen war der Mann in das Schongauer Henkershaus getaumelt; die Haare hatte er gleich büschelweise verloren, wie Wollflusen, die von einer Spindel wehten. Jakob Kuisl hatte von der französischen Krankheit gesprochen und den merkwürdig zuckenden Händler mit einer Phiole Quecksilber und einem Trank aus Schlafmohn, der die Schmerzen lindern sollte, weggeschickt. Als Magdalena wissen wollte, ob der Händler geheilt werden könne, hatte ihr Vater nur den Kopf geschüttelt. »Er ist schon zu lange krank«, hatte er damals gesagt. »Wenn er Glück hat, stirbt er, bevor der Wahnsinn ihn ganz in seinen Klauen hält.«
Hielt der Wahnsinn auch Bruder Jakobus in seinen Klauen? Magdalena fragte sich, was der Mönch mit ihr vorhatte.
Es gab Momente, in denen er ihr sanft über den Kopf streichelte oder beinahe liebevoll durchs Haar fuhr; sein Geist schien dann auf Reisen zu gehen. Bei einem dieser Zwischenfälle hatte Bruder Jakobus ihr sein Herz ausgeschüttet.
»Als ich noch jung war, liebte ich einmal ein Mädchen wie dich«, flüsterte er. »Eine... Hure, sie hieß Magdalena. Sie hat Verderben über sich und über mich gebracht. Ich war ein lüsterner Geck, ein betrunkener Narr, der durch Augsburg taumelte, immer auf der Suche nach dem nächsten Vergnügen. Aber dann schickte Gott mir ein Zeichen. Er strafte mich mit dieser Krankheit, und ich brach zusammen vor der Dominikanerkirche Sankt Magdalena!« Er kicherte leise. »Sankt Magdalena, was für eine göttliche Ironie!« Das Kichern ging in ein rasselndes Husten über, es dauerte eine ganze Weile, bevor er weitersprechen konnte. »Seitdem habe ich mein Leben ganz in den Dienst des Ordens gestellt. Und nun gibt Gott mir die Möglichkeit, das Vergangene wiedergutzumachen. Magdalena ... « In Erinnerungen schwelgend strich er ihr über die Wangen. »Meine Magdalena ist tot. Aber du kannst geheilt werden. Ich werde die Dämonen aus dir heraustreiben wie Rauch und Gestank aus einer stickigen Bauernstube.«
Magdalena schloss die Augen. Sie ließ ihn weiter aus der Bibel zitieren und dachte währenddessen krampfhaft über einen Ausweg nach.
Ihre Ausgangslage war mehr als ungünstig. Die Tür war unüberwindbar, das Fenster zu klein. Sie wusste weder, wo sie sich befand, noch, wie viele weitere Wachen Bruder Jakobus zur Seite standen. Außerdem war sie unbewaffnet. Geschätzte zwei Tage war Magdalena im Sarg unterwegs gewesen, bei ihrem letzten Halt hatten die Menschen schwäbisch gesprochen. War sie also schon jenseits der bayerischen Landesgrenzen? Oder vielleicht wieder irgendwo in Augsburg? War sie mit einem Schiff weggeschafft worden? Alles, was sie wusste, war, dass sie sich in der Nähe einer großen Kirche befinden musste. In regelmäßigen Abständen läuteten die Glocken, es waren große, schwere Glocken, wie sie sich nur eine reiche Kirchengemeinde leisten konnte.
Zum hundertsten Mal verfluchte sie sich für ihre Dummheit.Warum hatte sie keinen benachrichtigt, bevor sie in das verborgene Gewölbe unter den Dom gestiegen war! Ihre Gefangennahme war für Jakobus und seine Komplizen ein Glücksfall sondergleichen gewesen. Offenbar waren Magdalena, ihr Vater und Simon einer großen Verschwörung auf der Spur, mit dem Augsburger Bischof an der Spitze! Mit der Henkerstochter als Faustpfand konnten die Verschwörer nun dafür sorgen, dass dieser mysteriöse Templerschatz nicht in falsche Hände fiel. Magdalena war sich sicher, ihr Vater und auch Simon würden alles tun, um sie zu befreien.
Simon …
Der Gedanke an ihn verursachte ihr ein Kribbeln in der Magengegend. Gemeinsam wäre ihnen sicher eine Lösung eingefallen, um aus diesem Verlies zu entkommen. Es war seine Klugheit, was ihr an dem jungen Medicus immer am meisten gefallen hatte. Simon war schlau, humorvoll, wissenshungrig und – nun, vielleicht ein winziges bisschen zu klein geraten.
Magdalena lächelte, wenn sie an ihre gemeinsamen Erlebnisse dachte. An Gewitztheit nahm es Simon sogar mit ihrem Vater auf, und das wollte etwas heißen.
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