Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
dort in aller Bescheidenheit. Vom Tod ihres Bruders hat sie erst durch den Bürgermeister Semer erfahren.«
»Es war also Karl Semer, der Euch den entscheidenden Hinweis gab?«, hakte Simon nach.
»Ich hätte es schon früher wissen können«, sagte JakobKuisl. »Der Scheller hat mir von einem Parfum erzählt, das er bei der anderen Bande gefunden hatte. Ich hab damals den Mönch mit seinem Veilchenduft im Verdacht gehabt. Erst später auf dem Schafott ist dem Scheller eingefallen, dass noch etwas anderes auf der Lichtung lag.«
»Was denn?«, wollte Magdalena wissen.
Der Henker grinste. »Eine Haarspange. Ich kenne keinen Mann, der so etwas trägt.«
Simon ließ sich auf einen Schneehügel plumpsen. Noch immer konnte er kaum glauben, dass er auf eine Hochstaplerin hereingefallen war.
»Was für ein grandioser Plan«, stöhnte er, nicht ohne eine Spur von Bewunderung in der Stimme. »Die Frau von Welt kundschaftet in den Wirtshäusern die Wege der Fuhrleute aus. Sie weiß, wo sie fahren und welche Fuhren weniger bewacht sind. Und ihre Komplizen brauchen bloß an der richtigen Weggabelung stehen und die Hand aufhalten. Und dann, mehr durch Zufall, erfahren sie etwas von einem gewaltigen Schatz …«
»Wir haben den Kurier ausgeraubt, weil wir hofften, etwas Wertvolles in der Tasche zu finden«, flüsterte die rothaarige Frau. »Einen Wechsel, ein paar Goldmünzen, aber dann waren es doch nur Briefe! Ich habe ein paar von ihnen aus purer Neugier gelesen, und plötzlich halte ich dieses sagenhafte Schreiben in den Händen! Darin stand etwas von einem Templergrab und einem Rätsel. Die Templer waren bei uns in der Familie schon immer Stoff für Gespräche und Geschichten. Bereits als Kind in Frankreich hat mir mein Vater von diesem legendären Schatz erzählt. Es hätte unser letzter großer Coup werden sollen...« Sie stand auf und streifte sich den Schnee von ihrem verbrannten Kleid. »Was habt Ihr nun mit mir vor?«
»Erst mal kommst du nach Schongau in die Fronfeste«, sagte Jakob Kuisl. »Dann sehen wir weiter. Gut möglich, dass sie dir in München den Prozess machen.«
Die Frau ohne Namen bückte sich, um auch den Saum ihres Kleides vom Schnee zu säubern. »Wirst du mir weh tun in der Feste?«, fragte sie leise, während sie nun auch ihre Stiefel vom Schnee befreite. »Simon hat mir von Zangen und Glutpfannen erzählt …«
»Wenn du gestehst, werd ich dafür sorgen, dass dir bis zum Prozess kein Haar gekrümmt wird«, knurrte Kuisl. »Darauf hast du mein Ehren...«
Plötzlich fuhr die zierliche Frau hoch und warf dem Henker mit beiden Händen eine volle Ladung Schnee ins Gesicht. In der nächsten Sekunde rannte sie zwischen den verwitterten Grabsteinen davon.
»Bleib stehen, du Mistluder!«, brüllte Jakob Kuisl und wischte sich den Schnee aus den Augen. Dann sah er Simon und Magdalena an, die verdutzt neben ihm standen. »Was stiert ihr wie zwei Hornochsen? Ihr nach! Ihre Komplizen haben auch Schongauer auf dem Gewissen!« Mit großen Schritten setzte der Henker der Fliehenden nach.
Simon erwachte aus seiner Versteinerung und rannte dem Henker hinterher. Noch einmal sah er einen rothaarigen Schopf hinter einem Grabstein auftauchen, dann war die Frau plötzlich verschwunden. Der Medicus entschied sich, nach links abzubiegen und am Rande der kleinen Friedhofsmauer entlangzulaufen. So hoffte er, ihr den Weg abzuschneiden, falls sie durch das Gatter entkommen wollte. Er lief bis zum Ende der Mauer, weiter rechts konnte er den Henker erkennen, der zwischen den schiefen Grabsteinen hindurchhastete. Von Magdalena war weit und breit nichts zu sehen.
Als Simon am Ende des Friedhofs angelangt war, blickte er sich nach allen Seiten um. Die Frau, die er als Benedikta gekannt hatte, war wie vom Erdboden verschluckt! Er drehte um und ging langsam zurück, nicht ohne noch einmal hinter den Grabsteinen Ausschau zu halten. Aber ohne Erfolg.
Vielleicht ist es auch besser so, dachte er.
Plötzlich hörte Simon von rechts ein leises, unterdrücktes Keuchen. Auf Zehenspitzen schlich er in einen schmalen, verschneiten Seitenpfad, der zu einer kleinen Familiengruft führte. Über einem Torbogen wachte die Jungfrau Maria milde lächelnd über die Toten, vereister Efeu umrankte zwei Säulen. Hinter einem verrosteten Gitter führte eine Treppe nur ein paar Stufen nach unten vor eine Marmorplatte, die den Eingang zum Grab versperrte.
Simon blickte vor sich auf den Boden. Auf den Stufen waren im Schnee ganz deutlich
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