Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Pergamentrollen, an denen die roten Siegel des Klosters hingen. Spinnweben breiteten sich hier und da aus, auf einem glattpolierten Tisch aus Nussbaum in der Mitte des Raums lag eine dünne Schicht Staub.
»Unsere jahrhundertealte Klosterbibliothek«, sagte Bonenmayr. »Ein Wunder, dass sie nicht ein Raub der Flammen wurde. Wie Ihr seht, sind wir zurzeit nur selten hier. Aber die Ordnung ist die gleiche geblieben. Wartet …«
Er nahm eine Leiter, die in einer Ecke stand, und stieg hinauf bis zum vorletzten Regal.
»Lorenzkirche, Lorenzkirche ... «, murmelte er und ließ seinen Blick über die einzelnen Fächer schweifen. Schließlich stieß er einen Laut der Überraschung aus.
»Na, so was! Hier vorne ist sie ja.« Er kam mit einer zerfledderten Pergamentrolle herunter, an der noch die Splitter roten Lacks klebten.
Verwundert wies Simon auf das gebrochene Siegel. »Die Rolle ist offenbar bereits geöffnet worden.« Der Medicus fuhr mit dem Finger über die Pergamentränder. »Und zwar vor nicht langer Zeit. Die Bruchstellen glänzen noch.«
Augustin Bonenmayr musterte nachdenklich das brüchige Pergament.
»Tatsächlich«, murmelte er. »Merkwürdig. Schließlich ist die Rolle einige hundert Jahre alt. Nun ja …«
Er ging hinüber zu dem Tisch, wo er die Pergamentrolle ausbreitete. »Vielleicht ist sie wegen ihres schlechten Zustands kürzlich kopiert worden. Aber nun lasst uns einmal sehen ...«
Simon und Benedikta standen jeweils links und rechts vom Abt und blickten auf ein Dokument, das an den Rändern bereits zerbröckelte. Die Schrift war blass, aber immer noch gut lesbar.
»Hier steht es.« Der rechte Zeigefinger Bonenmayrs fuhrauf eine Stelle in der Mitte. »Das Kloster Steingaden hat im Jahr 1289 unseres Herrn folgende Güter gekauft: zwei Höfe in Warenberg, zwei Höfe in Brugg, einen Hof in Dietlried, drei Höfe in Edenhofen, einen Hof in Altenstadt und ... in der Tat, das Altenstadter Lorenzkirchlein! « Bonenmayr pfiff anerkennend. »Wahrlich ein gewaltiger Handel. Saubere 225 Pfund Denare hat uns das gekostet. Das muss damals eine Menge Geld gewesen sein.«
»Und wer war der Verkäufer?«, hakte Simon nach.
Der Finger des Abts fuhr nach oben an den Kopf des Pergaments.
»Ein gewisser Friedrich Wildgraf.«
»Was war er?«, fragte Simon. »Ein Händler? Ein Patrizier? Sagt bitte!«
Der Abt schüttelte den Kopf.
»Wenn es stimmt, was hier steht, dann war Friedrich Wildgraf kein Geringerer als der Provinzmeister des Templerordens im Deutschen Reich. Ein überaus mächtiger Mann zu seiner Zeit.«
Bonenmayr sah auf und blickte in das versteinerte Gesicht Simons.
»Was ist los mit Euch?«, fragte er besorgt. »Geht es Euch nicht gut? Vielleicht muss ich Euch zunächst aufklären, was es mit diesen Templern auf sich hat.«
»Nicht nötig«, sagte Simon. »Wir wissen Bescheid.«
Sie verließen das Kloster nur eine halbe Stunde später. Von einem sicheren Versteck aus beobachtete eine Gestalt die beiden, bis sie mit ihren Pferden zwischen den Bäumen verschwunden waren. Der Mann wandte sich ab und rollte wieder den Rosenkranz durch seine schweißnassen Finger, Perle für Perle, Glied für Glied. So viele Jahre waren vergangen, doch nun spürte er, dass sie fast am Ziel waren. Gott hatte sie ausersehen.
»Deus lo vult« , flüsterte er, fiel auf die Knie und fing zu beten an.
5
E s war ein unangenehmer Geruch, der Jakob Kuisl aus wabernden Alpträumen zurück an die Oberfläche seines Bewußtseins holte. Es roch ... muffig, nach Staub und Erde, auch irgendwie modrig und feucht. Wie in einem Kellerloch, dachte er.
Wo bin ich? Was ist passiert?
Wie eine Woge kam seine Erinnerung zurück und mit ihr die Wut und die Schmerzen. Er hatte den dritten Mann übersehen! Er musste nach ihm die Treppe zur Krypta heruntergekommen sein. Der Fremde, der nach Veilchen duftete, hatte ihn mit einem Lederseil beinahe erdrosselt. Jakob Kuisl wusste, dass die Bewusstlosigkeit beim Erdrosseln schon nach einer Minute eintrat, der Tod folgte nur wenige Minuten später. Er wusste das deshalb so genau, weil er schon selbst einige Menschen mit dieser Methode hingerichtet hatte. Zum Scheiterhaufen Verurteilte hatten ihm Geld dafür gegeben, dass er ihnen auf diese Weise den qualvollen Hitzetod ersparte. Im dichten Rauch konnten die Zuschauer nicht sehen, dass die Person dort oben in den Flammen bereits tot war.
Jakob Kuisl erinnerte sich an den vergifteten Dolch, der ihn unten in der Krypta innerhalb weniger
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