Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
haben.“
Bastarde. Verräter. Er hätte nie gedacht, dass seine Freunde, die Krieger, mit denen er dasselbe Schicksal teilte, zu so etwas fähig wären. „Warum erzählt ihr es mir jetzt? Warum tut ihr das?“
Reyes wandte den Blick ab. „Wir werden unser Bestes geben, um sie unbeschadet zurückzubringen.“
Abermals riss Maddox mit aller Kraft an den dicken Ketten. Den starken Gliedern konnte er zwar nichts anhaben – die Götter selbst hatten die Ketten geschmiedet –, aber das metallene Kopfende verbog sich. Er spürte, wie die Wut in ihm explodierte und so wild in ihm tobte, dass er weder sehen noch atmen konnte. Er musste zu Ashlyn. Er musste sie beschützen. Sie war so unschuldig und zerbrechlich. Sie würde es niemals überleben, wenn sie zwischen die Fronten geriet.
Und wenn der Feind sie gefangen nähme …
Er bäumte sich auf, brüllte und bäumte sich weiter auf. „Ashlyn!“, schrie er. „Ashlyn!“
„Ich verstehe nicht, wie eine einzige Frau ihn so wild machen kann“, hörte er Lucien in weiter Ferne sagen.
„Derartige Hingabe ist gefährlich“, stimmte Reyes ihm zu.
Er blendete ihr Geplapper aus. „Ashlyn!“ Wenn sie ihn hörte, könnte sie herkommen und ihn losmachen, und er könnte sie beschützen. Er könnte – nein. Sie war in Luciens Zimmer gefangen. Er selbst hatte sie dort eingesperrt und zwar so, dass sie nicht entkommen konnte. Und selbst wenn sie es hierher schaffte – würden die beiden Männer, die er einst als seine Freunde bezeichnet hatte, sie angreifen?
Er presste die Lippen aufeinander und biss sich auf die Zunge. Stundenlang – minutenlang?, sekundenlang? – kämpfte er still mit den Fesseln, doch es gelang ihm nicht, sich zu befreien. Lucien und Reyes sahen ihm schweigend und unnachgiebig zu. Er verfluchte sie mit Blicken und schwor ihnen Rache.
Helft Ashlyn, sich zu verstecken, betete er. Macht, dass sie sich verstecken kann, bis ich sie holen komme.
Er spürte einen scharfen Stich in der Seite.
Mitternacht.
Er ächzte. In ihm wütete der Dämon wie ein giftiger Hagelschauer, wie ein Bündel Blitze, wie ein Sturm der Zerstörung. Mann und Dämon vereinten sich in einem gemeinsamen Ziel. Sie wollten überleben, um ihre Frau zu verteidigen.
Doch Reyes war mit dem Schwert in der Hand bereits über ihm. Sein Gesicht war emotionslos. „Es tut mir leid“, flüsterte er.
Als die Klinge in Maddox’ Bauch schnitt und Haut, Organe und Knochen durchbohrte, konnte er die Schreie nicht länger zurückhalten.
Die Schlafzimmertür ging langsam und quietschend auf. Alle außer Ashlyn und Danika zogen sich so weit wie möglich zurück. Sie fassten einander bei den Händen. Den gesamten Abend über war in Ashlyn der Wunsch gewachsen, Maddox zur Rede zu stellen. Danika erging es genauso mit Reyes. Stattdessen erzählten sie sich am Ende ihre Lebensgeschichten.
Danika war durch Ashlyns Vergangenheit ganz und gar nicht verängstigt. Im Gegenteil. Es schien, als wäre ihr Misstrauen dadurch nahezu vollständig ausgeräumt. Im Gegenzug empörte sich Ashlyn über Danikas Entführung. Es war schon höchst sonderbar, dass Ashlyn an diesem Ort des Todes und der Angst nicht nur ihren ersten möglichen Liebhaber gefunden hatte, sondern auch ihre erste echte Freundin.
Ein Engel betrat den Raum.
Die silbrig-blonden Haare glichen einem Heiligenschein. Seine grünen Augen funkelten wie Smaragde. Eigentlich sollte ein Dämon nicht so schön sein. Er war komplett in Schwarz gekleidet, was Ashlyn nicht weiter verwunderte –, schwarzes T-Shirt, schwarze Hose und schwarze Handschuhe. Zu allem Überfluss hielt er eine Waffe in den ausgestreckten Händen.
Sie hatte ihn schon mal gesehen. In Maddox’ Zimmer. Letzte Nacht – war es wirklich letzte Nacht gewesen? –, als Maddox erstochen worden war. Dieser Mann war zwar nicht an der Tat beteiligt gewesen, aber er hatte zugesehen. Und er hatte nicht versucht zu helfen.
„Ashlyn“, sagte er.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Er kannte ihren Namen? Warum war Maddox nicht gekommen? Hatte er sie bereits vergessen? Wollte er sie jetzt umbringen lassen?
Bemüht, nicht zu wimmern, schob sie Danika hinter sich. „Ich bin hier“, quetschte sie hervor. Ein Teil von ihr rechnete damit, augenblicklich erschossen zu werden.
Es geschah nicht.
Der Mann rührte sich nicht vom Fleck. Er ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, vorbei am Bett und der Kommode, bis er ihren traf. „Komm mit.“
Sie war wie zur Salzsäule erstarrt.
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